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2.4.2.2 Krasnaer aus Orzechowo (Südpreußen)

Als das Buch „Krasna“ erschien, war die Lage von Orschokowin noch nicht bekannt.
Inzwischen kennen wir seine Lage.
Wir müssen dabei bedenken, dass der als „Orschokowin“ bezeichnete Ort in gesprochener Version auf uns überliefert ist, wovon die korrekte Schreibweise abweicht. Tatsächlich heißt der Ort Orzechowo. Er liegt ca. 26 km südlich von Wreschen (polnisch: Września), nicht weit von Posen (polnisch: Poznań). Orzechowo befindet sich ca. 4 km südwestlich von Czeszewo, um 1800 der Pfarrort von Orzechowo.

(Zum Vergleich: Der andere im obigen Gemeindebericht von Krasna genannte Herkunftsort Schitonitz/Sitaniec liegt gut 500 km weiter südöstlich und gehörte damals zu Österreich.)

Abb. 12: Orzechowo

Im Kirchenbuch von Czeszewo wird der Ort Orzechowo, wohl abhängig von grammatikalischen Erfordernissen und/oder der Laune des eintragenden Priesters in Latein z. B. auch wie folgt geschrieben: • Deserta Orzechowiensia • Neo colonia Orzechowienes • Neo Coloni Orzechowien

Das klingt schon sehr nach Orschekowin.

König Friedrich Wilhelm III. von Preußen siedelte seit 1800 in „Südpreußen“ auf staatlichen Ländereien und auf enteigneten polnischen Gütern Kolonisten an (auch in der Region um Posen und südlich davon, z.B. Lodz). Aber unsere Krasnaer aus Orschekowin/Orzechowo gehörten nicht zu den staatlich angesiedelten Kolonisten.
Neben staatlichen Koloniegründungen förderte die preußische Regierung die Ansiedlung von Leuten durch private Großgrundbesitzer. Einer davon war Wilhelm Friedrich Erbprinz von Nassau-Oranien. Er war ab 1815 als Wilhelm I. König der Niederlande.
Die Nassauer Fürsten hatten in Deutschland viele Ländereien links und rechts der Lahn (vor allem im Westerwald bis Siegen und im Taunus bis Wiesbaden). In der uns interessierenden Zeit um 1790/1800 war der größte Teil des nassauischen Territoriums im Besitz der Fürsten von Nassau-Oranien mit Regierungssitz Dillenburg. Später ab 1815 war- wie die Karte im nachfolgenden Bild zeigt- das ganze Gebiet unter einer Herrschaft mit Sitz in Wiesbaden vereinigt.

Abb. 13: Herzogtum Nassau
Aus dem Raum Siegen-Dillenburg - Marienberg- Westerburg- Hadamar meldeten sich 1799 viele Familien auf den Aufruf des Erbprinzen zur Auswanderung nach Südpreußen. Damals herrschte große Not im hohen Westerwald.
Quelle:https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2a/Duchy_of_Nassau.png · ziegelbrenner CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Wilhelm Friedrich Erbprinz von Nassau-Oranien war mit den Preußenherrschern verwandt und wurde vom preußischen König gefördert. Er kaufte 1793 die Herrschaften Kiebel und Widczin in Südpreußen. 1798 erwarb er sämtliche Güter, die der Fürst Joblonowsky in dem Posener Kammerdepartement besaß, u. a. das Gut Czeszewo (Kreis Wreschen) mit den Dörfern und Vorwerken Mikuszewo, Chlebowo, Radzitowko und Orzechowo.

Wilhelm Friedrich Erbprinz von Nassau-Oranien wollte auf seinen Gütern Kolonisten aus seiner Heimatregion Nassau ansiedeln. Seine Bemühungen dazu begannen 1797.
Im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden gibt es Listen mit den Leuten, die sich 1799 für die Auswanderung nach Polen angemeldet haben (HHStAW, 172, 2677 Verzeichnisse von Personen und Haushaltungen, welche als Kolonisten nach Südpreußen zu ziehen gesonnen). Darin findet man Krasnaer Familiennamen.

Von mindestens einem Auswanderer aus dem Fürstentum Nassau wissen wir sogar mit Sicherheit, dass er nach Orzechowo ging. Es gibt im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden ein Dokument, das besagt, dass Mathias Müller aus Büdingen dorthin emigriert ist.

Er erhielt in Orzechowo eine Erbschaft aus seiner Heimat.
Dok. 172/2668, S. 194-196 Mathias Müller aus Büdingen nach Orzechowo

Abb. 14: Dok. 172/2668, S. 194-196 Mathias Müller aus Büdingen nach Orzechowo

Viele der 1799 nach Polen ausgewanderten Familien kehrten schon nach wenigen Jahren (bis 1805/1806) enttäuscht und verarmt in den Westerwald zurück. Gut 80 Familien blieben länger. Auch einige mit in Krasna vorkommenden Familiennamen harrten aus. Uns liegt ein Dokument aus dem Jahre 1808 vor, das dies beweist1):

Abb. 15: Die Kolonisten
1 Georg Wagner,
2 die Witwe Heidrich,
3 Mathias Baldus,
4 Mathias Müller,
5 Peter Becker
bitten die fürstliche Verwaltung um Aufschub ihrer Zins-/ Steuerzahlungen.

Bisher gibt es zwar keinen direkten schriftlichen Nachweis, aber sehr viele plausible Indizien, dass die Leute aus Orzechowo nach Krasna gingen:

Abb. 16: Quittung über Auszahlung einer Erbschaft von Gertrud und Johann Baldus


Krasnaer Familien, die über Orzechowo nach Krasna eingewandert sind

1)
Archiwum Państwowe w Poznaniu 53/4823/0/3.15/280 Acta der Fürstlichen Oranien-Nassau-Fuldaschen General Administration betreffend die Orzechower Kolonisten 1808-1811)