Die deutsch-sowjetische „Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus den Gebieten von Bessarabien und der Nördlichen Bukowina in das Deutsche Reich”1) und das beigefügte Zusatzprotokoll regelten alle Modalitäten der Umsiedlung:
Auch die Umsiedlungsorganisation war bis in die Einzelheiten in der Umsiedlungsvereinbarung festgehalten. An der Spitze stand die „Gemischte deutsch-sowjetische Umsiedlungskommission“, die sich aus je einer deutschen und sowjetischen Delegation zusammensetzte. Darunter gab es je ein deutsches und ein sowjetisches Umsiedlungskommando.
Das deutsche Umsiedlungskommando2) bestand aus einem Hauptstab und vier Bereichskommandostäben (Gebiete): Albota, Beresina, Kischinew und Mannsburg. Die Gebiete waren wiederum in Ortsbereiche untergliedert, insgesamt 36. Sowjetischerseits bestand parallel eine ähnlich gegliederte Organisation.
Die deutsche Kommission unter ihrem Leiter SS-Standartenführer Horst Hoffmeyer hatte insbesondere
Das deutsche Umsiedlungskommando (uniformierte SS-Männer ohne Rangabzeichen)3) traf am 5. September in Galatz (Rumänien) ein und überschritt dort nach den von sowjetischer Seite geforderten Kontrollen und Prüfungen mit ihren Fahrzeugen am 14.09.1940 die Grenze nach Bessarabien (Sowjetunion).
Die Ankunft eines deutschen Umsiedlungskommandos war der Volksgruppe vorher durch sowjetische Radiomeldungen bekannt geworden; deutsche Sender waren damals in Bessarabien so gut wie nicht zu empfangen.
Schon am 15. 09. 1940 nahm der Hauptstab in Tarutino seine Arbeit auf. Am gleichen Tag oder einen Tag später konnten auch die Gebiets- und Ortsstäbe mit ihrer Arbeit beginnen.
An der Spitze der vier Bereichskommandostäbe (Gebiete) stand jeweils ein Gebietsbevollmächtigter.
Krasna war dem Gebiet Beresina zugeordnet, das in 10 Ortsbereiche untergliedert war. Neben Krasna waren dies: Beresina, Borodino, Hoffnungstal, Klöstitz, Neu-Klöstitz, Paris, Arzis, Teplitz und Katzbach. Gebietsbevollmächtigter war Alfred Karasek.
Krasna wurde in den Unterlagen der Umsiedlungskommission als Be 10 bezeichnet (Be für Beresina, Ort Nr. 10). An der Spitze eines Ortsbereiches stand ein Ortsbevollmächtigter. In jedem Ortsbereich wurden zur Unterstützung der Umsiedlungskommission örtliche Mitarbeiter eingesetzt. Für Krasna waren die Lehrer Eduard Ruscheinsky und Wendelin Volk berufen worden.
Nach E. Ruscheinsky4): zog das Orts-Umsiedlungskommando in Krasna am 15. September 1940 ein. Es bestand aus drei Deutschen: dem Umsiedlungsbevollmächtigten, er hieß Albohn, seinem Stellvertreter (Baumann) und dem Taxator sowie aus zwei Russen.
Ab 15. September 1940 verkündeten in Krasna wie in allen deutschen Dörfern Bessarabiens Aufrufe in deutscher und russischer Sprache, daß die deutschstämmige Bevölkerung frei und ungehindert auf deutschen Boden ausreisen kann, wenn sie den Wunsch dazu hat. Der Text war in Moskau vereinbart worden.
Das Umsiedlungsbüro wurde in der Kanzlei eingerichtet. Dort konnten sich ab 16. 09. 1940 die Umsiedlungswilligen registrieren lassen. Jede Person ab dem 14. Lebensjahr mußte persönlich ihren Willen zur Umsiedlung bekunden, Familien geschlossen erscheinen. Dabei wurden die Personalien aufgenommen und dem Umsiedlungswilligen eine um den Hals zu tragende Umsiedlungskennkarte übergeben. Mit dieser Kennkarte erhielt jeder Umsiedler seine Umsiedlungsnummer, die sich im Falle Krasnas wie folgt zusammensetzte: die Buchstaben „Be“ für den Bezirk Beresina, eine arabische Ziffer für die Gemeinde (Krasna war „Be 10“) und einer weiteren arabischen Ziffer, die seine Person betraf. Die Umsiedlungsnummern der Krasnaer kamen aus der Nummernreihe Be 10 - 101001 bis 107000. Nach E. Ruscheinsky wurden 2852 Umsiedlungsnummern an Krasnaer ausgeteilt. Diese Umsiedlungsnummer begleitete den Umsiedler im Normalfall bis zu seiner Neuansiedlung. Jedes seiner Gepäckstücke wurde gleichfalls mit dieser Nummer gekennzeichnet.
Taxatorenteams5), bestehend aus Mitarbeitern der deutschen und sowjetischen örtlichen Umsiedlungskommission gingen von Hof zu Hof und schätzten die Vermögenswerte (Gebäude, Vieh, Inventar, Geld und Wertsachen) für eine spätere Entschädigung bzw. einen Vermögensausgleich. Diese Tätigkeit führte mitunter zu großen Spannungen innerhalb der Kommission, weil die deutsche und die sowjetische Seite zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen.
Die Summe der Vermögenswerte sollte in die gegenseitige Verrechnung zwischen der UdSSR und dem Deutschen Reich eingebracht und von den Sowjets durch Erdöl- und Getreidelieferungen entschädigt werden. Es ist aufgrund der Ereignisse in und nach dem Zweiten Weltkrieg nie dazu gekommen.
Während das in den Vermögenslisten aufgelistete Vermögen in Bessarabien zurückblieb, durften die Umsiedler in begrenztem Umfang persönliche Habe (Bekleidung, Schuhwerk, Wäsche sowie Lebensmittel) mit auf die Reise nehmen. Die Einzelheiten sind in Artikel 3 der Umsiedlungsvereinbarung geregelt. Mit dem Lkw/Bus waren naturgemäß pro Person geringere Mengen erlaubt (etwa 35 kg, für Kinder 15 kg) als auf dem eigenen Fuhrwerk im Treck (Gewicht, das ein Bauernwagen üblicherweise trägt, einschließlich Lebensmittel und Futter bis zu 250 kg). Bestimmte Dinge waren verboten.
Man mußte die Sachen, die man mitnehmen wollte, sorgfältig aussuchen, denn das zulässige Höchstgewicht war schnell erreicht. Die Wahl zwischen schönen Erinnerungsstücken und wichtigen Bedarfsgütern fiel oft schwer. Alles war zu verpacken (Koffer, Taschen, Säcke, Kisten etc.).
Der Stab von Dr. Broneske (damals Gauleiter von Bessarabien) hatte die Aussiedlung schon vor Ankunft des deutschen Umsiedlungskommandos weitgehend vorbereitet: die besten Wege für den Abtransport wurden erkundet, Ärzte registrierten Kranke, Schwangere und Kleinstkinder, ärmere Leute wurden mit Kleidungsstücken ausgestattet. Eine Menge statistischer Erhebungen wurden angestellt und Aufzeichnungen gesammelt.
Schon im Sommer hatte man in den deutschen Dörfern begonnen, Vorkehrungen für die Umsiedlung zu treffen, indem die persönlichen Taufscheine, Ausweise, Akten etc. von den kirchlichen Stellen beschafft wurden. In Krasna ließ Pfarrer Schumacher die Kirchenbücher von jungen Leuten abschreiben, denn die Originale durften nicht mitgenommen werden.
Als dann die eigentliche Umsiedlungsphase begann, waren Vorbereitungen für die Reise bei den einzelnen Familien erforderlich. Man kann hier nur einige Aspekte auflisten. Über das Fertigmachen des mitzunehmenden Gepäcks wurde schon gesprochen.
Vor der Abreise hatten noch viele Familien geschlachtet: Eingebraten in Schmalz, wurde geräuchertes Fleisch mitgenommen, ebenso andere Speisen.
Das Vieh war in den Gemeinden zusammengetrieben worden. Es sollte von den Beauftragten der Sowjets gefüttert und die Kühe gemolken werden.
Gut und Habseligkeiten, die nicht mitgenommen werden konnten, wurden so gut es ging verkauft: Möbel, Hausgerät, Pferde (wenn mehr als zwei vorhanden), sonstiges Vieh, landwirtschaftliche Geräte. Russen, Moldauer, Bulgaren waren dankbare Abnehmer. Der Erlös aus den Verkäufen mußte bei der örtlichen Umsiedlungskommission eingezahlt werden. Man bekam dafür eine Quittung.
Die Sowjets machten bei diesen Verkäufen oft Schwierigkeiten. Einerseits wurden sowohl die Verkäufer als auch die Käufer behindert und eingeschüchtert, und andererseits weigerten sich die Sowjets mehr als 250 Rubel pro Familie anzunehmen und zu verrechnen.
Die Wagen für die Treckfahrt nach Galatz (s. unten) waren herzurichten. Die besten Wagen wurden ausgesucht und gewartet. Für die lange Fahrt waren die Pferdegeschirre sorgfältig zu überprüfen und zu richten. Da unterwegs mit Herbstregen und anderen Wetterunbilden zu rechnen war, brachte man zum Schutz auf den Wagen ein Verdeck an. Die Wagen waren mit dem mitzunehmenden Gepäck zu beladen.
In der Hektik der Vorbereitungen kam den Umsiedlern der Ernst der Stunde gar nicht so richtig zum Bewußtsein. Als dann der erste Abtransport in Krasna am 24. September anstand, waren alle sehr gerührt und betroffen. Am 28. 09. 1940 wurde eine große Abschiedsfeier in der Kirche gehalten. Eduard Ruscheinsky beschreibt sie6): „Am 28. September, feierte unsere alte Heimatgemeinde Krasna ihren letzten Gottesdienst. Am Schluß dieses Gottesdienstes ging die ganze Gemeinde in feierlicher Prozession nochmals auf den Friedhof, um unseren Toten den letzten Abschiedsbesuch abzustatten. In seiner Ansprache sagte unser letzter Pfarrer, Professor Schumacher zum Troste seiner Pfarrkinder: ‚Wir sind bloß Pilger auf dieser Erde und Gottes Sonne bescheint Euch auch in der neuen Heimat. Derselbe Mond und dieselben Sterne leuchten auch dort wie hier’.“
Diese Feier war nach Augenzeugenberichten ein würdiger Abschluß der 126-jährigen wechselvollen Geschichte des Dorfes.
Am 29. September 1940 läuteten unsere Heimatglocken 30 Minuten lang ihren Abschiedsgruß, und die Bläsergruppe spielte noch einmal das Lied „Ade, du mein lieb Heimatland“. Das Allerheiligste zog aus der Kirche ab, die Kirche wurde zu einem profanen Gebäude degradiert und verlor somit ihre Eigenschaft als Gotteshaus. Die Türen blieben zunächst offen, wurden aber kurze Zeit später von Sowjetsoldaten mit Brettern zugenagelt. Die Sowjetarmee richtete im Kirchturm eine Wachstelle ein. Die Monstranz sowie das silberne Kruzifix vom Altar wurden in die Obhut des Pfarrers gegeben. Dieses Kruzifix hat eine eigene Geschichte.
⇒ s. Kirche unter Ziff. 3.1 Das Dorf Krasna, seine Lage und sein Aussehen
Der Umsiedlungstransport erfolgte in drei Etappen:
Man hatte sich für diese Kombination entschieden, weil nur eine Zeit von knapp zwei Monaten zur Verfügung stand, ein durchgehender Bahntransport aufgrund der geringen Leistungsfähigkeit dieses Verkehrsmittels nicht in Betracht kam und ein Transport mit Donauschiffen bis Wien oder weiter wegen Mangel an Schiffskapazität ausgeschlossen war. Den Gedanken, den Seeweg nach Italien oder Hamburg zu wählen, hatte man schon sehr frühzeitig fallengelassen.
Der Transport der Krasnaer zu den Donauhäfen erfolgte auf drei verschiedene Arten.
Die Durchführung des Abtransports machte erhebliche Schwierigkeiten, einerseits weil die Straßenverhältnisse schlecht waren, andererseits, weil die Sowjets die Zahl der Kraftfahrzeuge begrenzt hatten und nur zögerlich Kraftstoff zu Verfügung stellten.
Schon nach geringem Regenfall konnten Kraftwagen die Straßen zwei bis drei Tage nicht mehr benutzen. Das nachfolgende Foto zeigt beispielhaft die auftretenden Schwierigkeiten beim Autotransport.
Es war notwendig, die Familien zu trennen, wogegen sich die Bessarabiendeutschen mit allen Mitteln sträubten. Da jedoch die Männer und jungen Burschen, in einigen Fällen auch junge Mädchen, mit Pferdetrecks nach Galatz ziehen sollten, die Alten sowie Frauen mit Kindern jedoch mit LKW nach Reni und Kilia zu den Dampferanlegestellen transportiert werden mußten, war diese Trennung unvermeidlich.
Die Planung der Umsiedlungskommission sah für Krasna folgende Transporte vor8):
Der tatsächliche Ablauf war, bedingt durch erforderliche Änderungen aufgrund der aktuellen Transportsituation, etwas anders. Nach E. Ruscheinsky liefen die Umsiedlungstransporte etwa wie folgt ab.
Dieser Transport wurde auf Anweisung des Hauptstabes der Umsiedlungskommission von einem Kriegsberichtserstatter zu Propagandazwecken für die Wochenschau gefilmt. Alfred Karasek, der Gebietsbevollmächtigte für den Abschnitt Beresina, zu dem Krasna gehörte, beschreibt in seinen Aufzeichnungen vom 01. 10. 1940 die Szene, in der er den Vorbeizug der Planwagen und die Hitlergrüße von Umsiedlern abnahm9).
Kaspar Ternes berichtet. „Auf dem Weg nach Kilia gab es eine große Aufregung. Rufina Ternes, Ehefrau von Adam Ternes, verstarb auf dem Transport plötzlich an Herzversagen und mußte von den Angehörigen und Verwandten auf dem nächsten Friedhof beerdigt werden.“
Die Angaben zur Treckfahrt waren nicht eindeutig zu klären: E. Ruscheinsky spricht von einem Treck mit 500 Fahrzeugen. Lt. Bericht eines Mitglieds der Umzugskommission bestand ein Treck aus Krasna, dem er unterwegs begegnete, aber nur aus 304 Wagen. Nach den Planungen des Umsiedlungskommandos waren zwei Transporte mit je 525 Personen vorgesehen.
Jeder Treck wurde von einem berittenen Mitglied der deutschen Umsiedlungskommission geführt. Die Pferdegespanne wurden in einer langen Reihe auf der Krasnaer Hauptstraße aufgereiht. Es wird berichtet, daß der Zug eine Länge von drei km gehabt habe.
Stimmen zur Abfahrt des Trecks:
Die ungefähre Treckroute aus Krasna verlief über Wittenberg (Malojaroslawetz I)- Kubej – Czischme- Anatol bei Reni und von dort zur sowjetisch-rumänischen Grenze am Pruth. Die Strecke war etwa 150 km lang; die Fahrt dauerte insgesamt über drei Tage.\
Unterwegs waren Rastplätze eingerichtet worden, wo Mensch und Tier sich etwas erholen konnten. Z. T. konnten die Krasnaer die vorherbestimmten Rastpunkte wegen Überfüllung nicht benutzen; man mußte auf andere Orte ausweichen oder sogar auf freiem Feld kampieren.
Nach vorhandenen Planungsunterlagen war die letzte Übernachtung vor der Überquerung der Grenze in Anatol, etwa 12 km von der Grenze entfernt (bei dem Dorf Girugiulesti an der Pruth-Brücke). Die Treckführer waren gehalten, gegen 7.00 morgens an der Pruth-Brücke (Pontonbrücke) einzutreffen.
In den Berichten wird immer wieder diese Pontonbrücke über den Pruth erwähnt. Was hat es damit auf sich? Die rumänischen Truppen hatten bei Anrücken der sowjetischen Truppen (s. Ziff. 2.4.2. Sowjetisches Bessarabien, Zeit bis zur Umsiedlung (Juni –November 1940) Bessarabien Ende Juni 1940 verlassen und auf ihrem fluchtartigen Rückzug die Pruth-Brücke bei Galatz einschließlich des westlichen Zuführungsdammes zerstört. Ohne diese Brücke war eine Aussiedlung der Bessarabiendeutschen aber nicht denkbar, da über sie allein alle Trecks mit Tausenden von Wagen nach Galatz rollen mußten. Es bedurfte langer Verhandlungen mit rumänischen Stellen sowie erheblicher Bestechungsgelder, um den Damm zu reparieren und eine Behelfsbrücke (Pontonbrücke) entstehen zu lassen.
Vor Befahren der Pontonbrücke mußten die Kolonnen den sowjetischen Zoll passieren. Dort wurde von den Sowjets nochmals intensiv geprüft. Dadurch entstand manche Verzögerung, und es gab viel Ärger. Kaspar Ternes beschreibt ein Beispiel aus dem Frauentransport11): „ Am Hafen angelangt, fand durch die russische Polizei eine Personenkontrolle statt. Mama wurde in einen separaten Raum geführt und gefilzt. Vor allem die Wertsachen, die ihr abgenommen wurden, schmerzten sie noch lange. Später erfuhren wir, daß unsere Familie bei den Kommunisten schon in Krasna auf der ‚schwarzen Liste’ stand.“
Nach der Ankunft in Galatz wurden Wagen und Pferde, von denen sich die Bauern nur ungern trennten, gegen Empfangsbescheinigung an die Umsiedlungskommission übergeben. Die Pferde wurden z. T. in Rumänien verkauft, z. T. ins Banat und nach Siebenbürgen gebracht und dort an volksdeutsche Bauern verteilt.
Das Großgepäck und die Reservenahrungsmittel wurden der Erfassungsstelle übergeben. Das große Gepäck der Umsiedler wurde auf Frachtschiffen nach Wien ins Zentralgepäcklager der Deutschen Speditionsgesellschaft gebracht. Dort wurde es für die Aussiedler aufbewahrt und später in ihre neue Heimat nachgesandt. Das Handgepäck nahm man mit aufs Schiff.
Der Schiffstransport auf der Donau erfolgte mit gecharterten Schiffen, die zum Teil der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft (DDSG) gehörten, zum Teil ungarischen Reedereien. Sie verkehrten zwischen den Häfen Kilia, Reni und Galatz einerseits und Prachowo und Semlin andererseits.
Trotz Inanspruchnahme der ganzen Flotte der DDSG war es nicht möglich, die Dampfer bis Wien durchlaufen zu lassen, weil dann die Umlaufzeiten zu lang geworden wären.
Wie oben dargelegt, waren Frauen, Kinder, Alte und Leute, die kein eigenes Fuhrwerk hatten, nach Kilia und Reni befördert worden. Dort wurden die Leute gleich nach der Ankunft auf die bereitliegenden Schiffe gebracht. Vor dem Betreten der Schiffe mußten die Menschen noch durch den sowjetischen Zoll. Da gab es auch manche Probleme.
Die Männer im Treck wurden über Galatz geleitet. Dort hatte man zur Reserve bei großem Andrang ein Auffanglager eingerichtet, um bei eventuellen Verzögerungen im Schiffsverkehr (Niedrigwasser, Nebel auf der Donau, Schiffsausfälle etc.) einen Puffer zu haben. Die Rumänen hatten dafür den Flugplatz zur Verfügung gestellt. Dort konnten notfalls mehrere Tausend Menschen untergebracht werden. Obwohl zum Glück während der gesamten Umsiedlung keine dramatischen Ausfälle vorkamen, waren hier tagelang je 20.000 Personen untergebracht. Die Umsiedler mußten oft einige Tage im Lager zubringen, bis die Verschiffung erfolgte. Zumindest ein Teil der Krasnaer Männer kam am 12. Oktober in Galatz an, lag dort 9 Tage bis zum 21. Oktober und fuhr dann spät abends bzw. in der Nacht zum 22. 10. mit Schiffen nach Semlin ab (handschriftliche Notizen von Josef Volk und Mathias Ternes).
Die meisten Krasnaer waren noch nie mit einem Schiff gefahren. Man mußte sich erst einmal an die neue Situation gewöhnen.
Max Riehl schildert, wie er die Donaureise als 13jähriger erlebt hat: „…Die Fahrt auf der Donau war für uns Kinder ein Erlebnis. Eine Welt, von der wir noch nichts gesehen hatten, versetzte uns in Staunen.
Am frühen Nachmittag setzte sich das Schiff, nachdem das Schiffshorn einen dumpfen Pfeifton abgegeben hatte, donauaufwärts in Bewegung. Die Frauen begannen zu schluchzen und jammern, immer wieder hörte man den Ruf: ‚Lebe wohl mein lieb Heimatland. Wir werden dich nicht mehr wiedersehen’. Uns Buben und Mädel an Deck kam all das Neue, was links und rechts der Donau zu sehen war, wie im Märchen vor. Wir konnten nicht verstehen, warum die Frauen weinten.
Nach ein paar Stunden Fahrt rief man uns zum Essen. Am liebsten hätte man auf das Essen verzichtet, nur um nichts von dem zu versäumen, was auf der Donau und an ihren Ufern zu sehen war. Ein Matrose kam und trieb uns energisch in den Speiseraum. Dort waren schon fast alle Plätze belegt und von den ersten Kindern war schon das Klagen zu hören: ‚Das esse ich nicht, das schmeckt mir nicht, ich hab gar keinen Hunger’. Als ich an den Tisch meiner Mutter und Geschwister kam, sah ich dieselben langen Gesichter. Auch ich bekam einen Teller Nudeln mit einer Soße aus Harzer Käse darüber, mit einem Duft, der den Hunger vertrieb. Ich stocherte im Teller herum, auf der Suche nach ein paar Nudeln, die von der Soße frei geblieben waren. Kurz, die Nudeln wanderten in den Abfalleimer, und wir Jungen rannten wieder raus aufs Deck.
Es wurde bereits dunkel, als in der Ferne viele Lichter auftauchten. Man erklärte uns, das sei der Hafen von Galatz. In der Stadt hörte man Glockenläuten und Wehmut kam auf. Die erwachsenen Mädel stimmten das Lied an: ‚Ade du mein Heimatland’. Es wurde immer wieder gesungen, bis die Lichter von Galatz nicht mehr zu sehen waren. Dann war Schlafenszeit.
Am nächsten Morgen besetzten wir Jungen schon vor Tagesanbruch wieder das Schiffsdeck. Wir wurden zum Frühstück gerufen. Nach dem Ausfall des Abendessens war das Verlangen nach einem kräftigen Frühstück groß. Beim Blick über den Frühstückstisch sank aber die Vorfreude. Unbekanntes dunkles Brot, Blutwurst, Leberwurst, etwas Marmelade und schwarzer Kaffee standen auf den Tischen. Wir Kinder wollten von alledem nur die Marmelade. Die Erwachsenen hatten dafür vollstes Verständnis und waren auch überzeugt, daß man Blutwurst nicht essen kann und alles andere auch zurückzugeben war, denn das sei kein Essen für uns.
So vergingen die weiteren Tage der Schiffsreise. Die schönen Erlebnisse wurden immer wieder getrübt, wenn wir zu den Mahlzeiten in den Speisesaal gerufen wurden. Das Klagen über das Essen nahm kein Ende. Alle stellten sich die bange Frage: ‚Wird es so in Deutschland sein?’…“
Der Transport auf der Donau erfolgte entweder bis Prahovo (an der Grenze zu Bulgarien), wenn es sich um ein großes Schiff handelte, oder bis Semlin bei Belgrad mit kleineren Schiffen (beide Orte damals in Jugoslawien; heute liegt Prahovo in Mazedonien, Semlin in Serbien). Zwischen 3 — 6 Tagen, je nach Schiffsgröße und der Entfernung zu dem Bestimmungshafen, dauerte die Fahrt auf der Donau.
In beiden Orten hatte man Zwischenlager geschaffen. In diesen Zwischenlagern waren notwendigerweise große Mitarbeiterstäbe und auch Ärzte sowie Krankenschwestern tätig. Die damalige jugoslawische Regierung hat sowohl bei dem Aufbau der Lager wie auch bei der Durchführung der Umsiedlung großzügige Hilfe geleistet. Die Lager wurden von Jugoslawiendeutschen betreut und mit Lebensmitteln versorgt.
Hertha Karasek-Strzygowski12) beschreibt das Lagerleben in Semlin. Kaum jemand hat die Stimmungslage der Umsiedler besser dokumentiert als sie. Die Autorin hat u. a. auch mit Krasnaer Frauen gesprochen und einige portraitiert:
Gertrud Both (S.41), Emerenzia Leinz mit Kind Josef Leinz (S.49), Gertrud Both, geb. Kunz mit Kind Adolf Both (S. 183), allein auf dem Bild ist „das Josefche“, seine Mutter ist Elenora Müller (S. 60).
Sowohl in Prachowo als auch in Semlin waren Krasnaer Umsiedler untergebracht. Der Aufenthalt dauerte meist nur ein bis zwei Tage. In dieser Zeit wurden Kinder geboren, auch von Krasnaer Müttern, und es starben Krasnaer Leute.
Eine Krasnaer Männergruppe kam in Semlin am 24. Oktober abends an, lag dort bis zum 26. Oktober und fuhr am 26. Oktober von Semlin ab nach Pirna.
Die Weiterführung in die in Deutschland vorbereiteten Umsiedlerlager erfolgte auf dem Bahnwege. Täglich rollten Züge nach Deutschland, von Prachowo über Villach, von Semlin über Graz, je Zug etwa 800 Personen. Villach fertigte etwa zwei Züge täglich ab, Graz zwei bis drei. In diesen Orten wurden die deutschen Umsiedler mit Musikkapellen empfangen. Fahnen hingen am Bahnhof und ein Transparent grüßte: „Herzlich Willkommen im Großdeutschen Reich“.
Eduard Ruscheinsky13), der mit der örtlichen Umsiedlungskommission in Krasna zurückgeblieben war, um die Umsiedlungsarbeiten vollständig zu Ende zu führen, listet auf, was in Krasna zurückgeblieben ist:
Unter Berufung auf die Schätzungen der Umsiedlungskommission beziffert er den Wert des Krasnaer Vermögens auf rund 17 Mio. Goldmark.
Die Einwohnerzahl Krasnas kann nach Eduard Ruscheinsky am Tag der Abfahrt des letzten Trecks (9. oder 13. Oktober 1940) auf rund 3000 Personen mit ca. 610 Familien beziffert werden. Fast alle Krasnaer schlossen sich der Umsiedlung an; nur einzelne blieben zurück, z. B. wenn der Ehepartner nicht deutsch war oder wegen hohem Alter.
E. Ruscheinsky sagt, es wurden 2852 Umsiedlungsnummern an Krasnaer ausgeteilt. Dazu kamen noch Leute, die zum Zeitpunkt der Umsiedlung auswärts waren:
Nach ihrer Ankunft in Deutschland wurden sämtliche Krasnaer Umsiedler zunächst in Lager der Volksdeutschen Mittelstelle eingewiesen (s. nächster Abschnitt).
⇒ Die umgesiedelten Krasnaer Familien sind in Ziff. 7.14 aufgeführt