In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die ruhige Entwicklung der deutschen Kolonien in Rußland in eine Phase der Veränderung übergeleitet. Diese Veränderungen speisten sich aus dem starken Wachstum der Kolonien, was den Landbedarf der deutschen Bauern forcierte sowie aus politisch bedingten Umstrukturierungen. Die Veränderungen betrafen natürlich auch Krasna.
Da die Bessarabiendeutschen sehr kinderreich waren, wurde das Ackerland der 24 Mutterkolonien infolge des Bevölkerungszuwachses bald knapp. Ab 1860 herrschte akuter Landmangel. Über einen Antrag auf Zuteilung von weiterem Land für Krasna wurde bereits berichtet. Eine wachsende Zahl von Kolonisten der deutschen Siedlungen kaufte oder pachtete Land außerhalb ihrer Dörfer, z.B. von russischen Großgrundbesitzern und gründeten darauf neue Siedlungen, sogenannte Tochterkolonien. Neben der Abwanderung im Inland begann auch eine Auswanderung in andere Länder. Letztere war außer dem Landmangel sehr stark beeinflußt durch die staatlichen Maßnahmen, die den Kolonistenstand ab 1871 erheblich tangierten (s.unten), vor allem die Einführung des Militärdienstes. Auch Krasna war von dieser Entwicklung betroffen. Bereits 1866 und dann 1874 zogen erste
Gruppen von Bewohnern weg und suchten Land an anderen Orten.
⇒ s. Ziff. 7.6 Aus- und Abwanderung aus Krasna
Das Leben ging aber trotz der großen Veränderungen, die sich abzeichneten, im Inneren der Kolonien weiter. Die Zeit um 1860-1885 war eine sehr wichtige Periode für die Weiterentwicklung der Kolonie Krasna:
Während sich auf lokaler Ebene eine positive Entwicklung vollzog, änderte sich die politische Situation für die Deutschen in Rußland zusehends im negativen Sinne. Es wurden seit den 70er Jahren emotional-nationalistische Tendenzen sowie eine Russifizierungspolitik spürbar. Der Fleiß und die Tüchtigkeit der Deutschen sowie die ihnen gewährten Privilegien, wie Steuerfreiheit und Befreiung vom Militärdienst riefen bei den Russen Argwohn und Neid hervor. Den Russen gefiel nicht, daß die Kolonisten ihre Muttersprache, ihren Glauben und ihre eigene Kultur behielten und sich vom russischen Volk absonderten. In maßgeblichen Kreisen der russischen Adeligen, Politiker und Bildungsbürger entwickelte sich ein wachsender Deutschenhaß (s. unten Russifizierungspolitik und Fremdenfeindlichkeit).
Nach der Niederlage im Krimkrieg (1856) nahm Zar Alexanders II. (1860-1881) eine Reihe von Reformen in Angriff, die zur Stärkung und Modernisierung Rußlands beitragen sollten. Sie zielten zwar nicht auf die Benachteiligung der deutschen Kolonisten, bewirkten am Schluß aber doch das Ende ihrer Sonderrechte und ihres abgeschotteten Daseins.
Im Zusammenhang mit einer breit angelegten Verwaltungs- und Justizreform und wohl auch auf Druck der Nationalisten nahm Zar Alexander II. die ursprünglich für „ewige“ Zeiten gewährten Privilegien der deutschen Siedler Zug um Zug zurück.
Das Fürsorgekomitee hatte zum großen Segen der Kolonisten über ein halbes Jahrhundert gewirkt und entscheidend dazu beigetragen, Anlaufschwierigkeiten der Kolonien zu überwinden. Sie konnten sich unter seiner fürsorglichen Leitung frei entwickeln und ihre nationalen Güter ungehindert pflegen. Nicht ganz zu Unrecht hat man die deutschen Kolonien deshalb mit einer „Republik im Staat“ verglichen.
Andererseits kann man feststellen, daß die deutschen Kolonien diese Unterstützung über 50 Jahre nach ihrer Gründung nicht mehr unbedingt benötigten. Sie hatten mittlerweile einen Stand erreicht, der weit über dem der übrigen Bevölkerung auf dem Land lag. Zudem muß man auch darauf hinweisen, daß die Kolonistengesetze nicht völlig aufgehoben wurden; wesentliche Bestimmungen galten weiter. Es gab Übergangsfristen und gewisse Anpassungshilfen:
Die Rücknahme der den Kolonisten gewährten Privilegien war eine Zäsur, dennoch änderte die ab 1871 einsetzende Russifizierungspolitik seitens des Staates bei den ländlichen Deutschen vorerst wenig. Alles in allem haben die Kolonisten die Reform einigermaßen gut überstanden. Dank des um 1870 beginnenden Aufschwungs in der Landwirtschaft ging es ihnen
wirtschaftlich recht gut.
Die Verwaltung in den Dorf- und Gebietsämtern blieb in deutscher Hand; nach wie vor gab es die bewährten Institutionen Gemeindeversammlung, Schulz, Oberschulz. Neu und unbequem war vor allem die Einführung des Russischen als Amtssprache.