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ebook:herkunft:g-00-01-10

5.1 Die ersten Jahre in der Kolonie bis etwa 1820

Die Krasnaer hatten bei ihrer Ankunft an ihrem künftigen Wohnort zunächst einmal eine schwere Enttäuschung zu verkraften.

  • Denn statt ins „gelobte Land“ sahen sich die Ansiedler nun in eine Ödnis versetzt.
  • Es waren keinerlei Vorkehrungen getroffen für die Ankunft der Siedler.
  • Häuser gab es nicht, auch sonst keine den Angeworbenen versprochene Einrichtungen.

Eine ungeheure Fläche bot sich ihren Blicken, ohne Grenzen nach allen Seiten. Was fanden sie vor? So weit das Auge reicht sahen sie ödes kahles Steppenland: nur hohes Gras, große Disteln und Unkraut… bedeckten das Land, es gab verschiedenes Wild, Steppenwölfe, Schlangen und sonstiges „Ungeziefer“.

Schon im ersten Jahr 1814/15 stand den eingewanderten Kolonisten ein sehr kalter Winter bevor. Es ging zunächst einfach darum, den Winter irgendwie zu überstehen. Die Kolonisten mussten sich zum Schutz gegen die Witterungsunbilden zuerst eine notdürftige Bleibe schaffen. Der Gemeindebericht von 1848 sagt ausdrücklich: „Die anzusiedelnde Steppe war ohne menschliche Wohnungen.“
Von Pfarrer Paschkowsky ist belegt, dass er bei seiner Ankunft im November 1814 keine Unterkunft fand; er baute deshalb eine Erdhütte, in der er über zwei Jahre wohnte. (Quelle:Schreiben vom Innenministerium bezüglich des Paters Paschkowsky -Odessa-Archiv 6-1-1467) Solche Erdhütten (russisch Semljanki) waren sehr einfache Behausungen. In seinem Buch "Die deutschen Kolonisten in Bessarabien" beschreibt Wilhelm Kludt wie so ein Gebilde aussah: „Man grub eine große, tiefe, viereckige Grube in die Erde, deckte sie mit Stangen, Rohr, Gras und Erde, bestrich das Ganze inwendig mit Lehm, und die Kolonistenwohnung war fertig„.

Es ergibt sich von selbst, dass diese Unterkünfte sehr primitiv und ungesund waren.

Ein weiteres Problem der neuen Kolonisten: sie hatten auch sonst nichts zum Leben:
kein Geld, kein Getreide, kein Fleisch. Das bisschen Geld, das man aus Polen bei sich hatte, war aufgebraucht. Soweit einzelne Kolonisten Tiere mitgebracht hatten, waren viele eingegangen, mancher Wagen war zerbrochen.

Man war gänzlich auf Beihilfen des Staates angewiesen.
Im Krasnaer Gemeindebericht von 1848 können wir nachlesen, was die Kolonisten konkret an Unterstützung erhielten:

  • „Zum Häuserbau bekam jeder Ansiedler das erforderliche Bauholz: 4 Eckpfosten, Türen, Fenster und ein Stück Holz für eine Bank und 8 Rubel. Für die übrigen Bedürfnisse hatten die Ansiedler selbst zu sorgen.
  • Als Wirtschaftsgeräte bekam jede vollständige Familie einen hölzernen Wagen, zu welchem ein Jahr später etwas Eisen zur Verbesserung erhalten wurde. Ferner – eine Egge, 2 Sensen, zwei Sicheln, eine eiserne Schaufel, eine Hacke, einen Dängelstock1) und andere kleine Geräte.
  • Als Zugvieh bekam jede Familie ein Paar Stiere (Ochsen) und eine Kuh.
  • Zur Aussaat - 4 Tschetwert Weizen, 2 Tschetwert Kartoffeln. (1= ca. 200 Liter)
  • Ferner bekam jede Seele 1 1/2 Jahre lang monatlich ein Pud Mehl aus einem Magazin in Tarutino.

Die Praxis sah allerdings noch dürftiger aus. Habgierige Lieferanten und korrupte Beamte bereicherten sich auf Kosten der Kolonisten. Lassen wir wieder die damals Beteiligten zu Wort kommen:
Krasnaer Gemeindebericht von 1848: „Obwohl nun die russische Regierung Millionen für die Kolonien verausgabte, um den Kolonisten Unterstützung zu gewähren, so wurden doch die Kolonisten von Lieferanten, besonders von einem Pollner sehr oft betrogen. Das gelieferte Vieh war sehr mager, die Gerätschaften sehr schlecht, das Mehl verdorben, die versprochenen 5 Kop. Tagegelder wurden meistens nicht erhalten. Auf diese Weise wurden die Ansiedler gezwungen sich als Tagelöhner zu verdingen, um ihre Familie nicht darben zu lassen.“

Häuserbau: Im Frühjahr oder Sommer des Jahres 1815 begann die Errichtung der ersten primitiven Unterkünfte. Luxushäuser waren das wirklich auch nicht. Die Krone liefert das Holz, der Plan ist für alle gleich: „Man schlug 4 starke Eckpfosten in die Erde, legte Balken mit Sparren darauf, deckte die Balken mit dünnen Stangen und das Sparrwerk mit Rohr und Gras, füllte die Zwischenwände bis an die Balken mit einem Strauchgeflechte, beklebte das Ganze inwendig und auswendig mit Lehm, - und das Kolonistenhaus war fertig.“
Quelle: Wilhelm Kludt: "Die deutschen Kolonisten in Bessarabien".
Die Kronshäuschen waren der Übergang zu den Kolonistenhäusern der späteren Jahre. Im Vergleich zu letzteren waren sie immer noch sehr ärmlich, aber natürlich besser als Erdhütten.

Die Anfangsjahre waren sehr hart. Die Lebensbedingungen waren sehr primitiv und ungesund. Das gilt ganz besonders für die beschriebenen Erdhütten. Pater Paschkowsky sagt, dass er über zwei Jahre in einer solchen wohnte. Als er sah, dass fast alle seine Sachen und Bücher in dieser Hütte anfingen zu faulen, seine Gesundheit angegriffen wurde…, entschloss er sich, bei allen vorhandenen Mängeln ein Ziegelhaus zu bauen (Quelle: Schreiben vom Innenministerium bezüglich des Paters Paschkowsky -Odessa-Archiv 6-1-1467).

Ähnlich wird es den anderen Ankömmlingen auch gegangen sein. Kein Wunder, dass viele Kolonisten krank wurden. Manche Einwanderer waren schon vorher auf ihrer strapaziösen Reise aus Polen oder bei ihrem Aufenthalt in den moldauischen Dörfern gestorben.
Etliche der Ankömmlinge haben den ersten Winter in der neuen Heimat nicht überlebt. Auch in den folgenden Jahren blieb der Krankenstand sehr hoch. Z. B. waren nach der uns überlieferten Krankenliste allein von Mitte August bis Mitte November 1819 in Krasna 51 Personen erkrankt.


Liste der kranken Kolonisten in der Kolonie Krasna (Bessarabien) vom 19. November 1819

Schulz: Franz Bietsch (Petsch); Beisitzer: Nikolaus Dürk (Dirk), Nikolaus Lauterbach
Quelle: Odessa Staatsarchiv Fond 6, Inventory 6 Akte 26 Seiten 29-31

Haus Name Alter Krank seit
2 Michael Matlatus (Matulatus) 35 15. August
3 Ertmann Budatus (Gudatus)
Seine Frau Christiana (Christina)
Sein Sohn Heinrich
Seine Tochter Carolina
36
29
11
7
30. Juli
20. September
10. Oktober
15. August
4 Martin Höfer
Seine Frau Margaretha
Seine Tochter Maria
31
34
8
1.September
13. Oktober
12. Oktober
6 W. Tauchertin (Deichert?)
Sein Sohn Franz
41
19
10. November
24. September
8 Frau von Johann Brandt 33 22. August
9 Georg Hiebrach (Habrich) 58 29. September
10 Jacob Bokakowski (Bogolowski)
Seine Frau Sofina (Rosina)
38
32
12. September
1. Oktober
12 Frau von Johann Speinhert (Speicher) Gertrude? 24 20. August
13 Johann Wahlauer (Walbauer) 30 10. September
14 Johann Senius (Söhn) 31 20. September
17 Peter Hiedel (Hüttl)
Conrath (Conrad) Hittel (Hüttl)
52
23
2. November
2. Oktober
18 Anton Fenrich
Sein Bruder Gottfried
36
17
3. Oktober
22. September
19 Die Frau von Jakob Dam 21 2. November
27 Nikolaus Dürk (Dirk)
Sein Sohn Mathias
Sein Sohn Johann
53
24
18
24. August
18. September
24. Oktober
33 Die Frau von Georg Wagner (Theresa geb. Marte?) 52 10. August
34 Johann Paul 31 19. September
37 Georg Hak (Haag)
Seine Frau Beate
Sein Sohn Anton
39
30
12
1.Oktober
20. Oktober
12. September
39 Heinrich Hensche (Harsche)
Sein Son Mathias
61
13
6. August
24. September
42 Ludwig Müller 34 21. August
44 Peter Weber 30 20. Oktober
63 Paul Dack 55 25. Oktober
68 Aquil (Aquilinus) Richart (Rickert) 60 18. September
70 Johann Janinsch (Janz) 64 25. Oktober
77 Thomas Börghart (Burghard) 40 22. Oktober
84 Christoph Schwalin (Schwalich) 38 21. September
89 Johann Bonokowski (Bonjakowski) Sohn Johann 16 3. November
92 Franz, Sohn von Joseph Moor (Meer) 26 12. September
105 Johann Grienwald (Gronwald)
Seine Frau Katharina
38
40
20. Oktober
10. September
106 Franz Bietsch (Petsch) Sohn Peter 18 18. November
123 Sebastian Müller
Seine Frau Elisabeth
43
44
12. August
30. August
124 Johann Redelbacher (Riddlebach)
Seine Frau Christina
25
20
19. Oktober
10. Oktober
125 Nikolaus Schreiner 28 20. September
132 Frau von Johann Pralowski 39 12. September
133 Frau von Clementz (Clemens) Eberhard 40 4. Oktober
Insgesamt 51 Kranke in der Zeit von August bis November 1819

Krankheiten, Seuchen, Kälte und Auszehrung, ungesunde Ernährung forderten besonders in den folgenden drei Jahrzehnten zahlreiche Menschenleben. Die Sterblichkeit war extrem hoch.
Ärztliche Hilfe fehlte gänzlich. Ganze Familien starben einfach aus, z. B Fornwald.

1)
Vorrichtung zum Auflegen der Sense oder Sichel beim Dengeln (Schärfen)
ebook/herkunft/g-00-01-10.txt · Zuletzt geändert: 2023/06/30 10:23 von Otto Riehl Herausgeber