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krasna:f-04-08-22

4.8.2.2 Die Selbstverwaltung auf lokaler Ebene

Zwar blieb die Selbstverwaltung der ehemaligen Kolonien nach den Reformen von 1871 auf Bezirks- und Gemeindeebene bestehen und auch weiterhin in deutscher Hand. Die Dorf- und Gebietsverwaltungen waren jetzt aber wie im übrigen Rußland auf Grund der allgemeinen Bauernordnung eingerichtet. Sie hatten sich jetzt formal und inhaltlich nach den Prinzipien des ländlichen Semstwo-Systems zu richten. Die Einrichtungen der Selbstverwaltung waren jetzt viel stärker der staatlichen Kontrolle unterworfen als früher, und ihre Kompetenzen wurden stark beschnitten.

Die wichtigsten Veränderungen waren folgende:

  • Die Bezirke (Okruga) wurden durch Gebiete (Wolosten) ersetzt. Einzelne Gemeinden erhielten das Recht, eine Wolost zu bilden, wenn sie über eine bestimmte Einwohnerzahl verfügten. Krasna erfüllte diese Voraussetzungen und erhielt den Status einer Wolost. Wenn das Gebietsamt nur aus einer Gemeinde bestand, wie im Falle Krasnas, wurden die Amtspersonen des Gebiets von allen wahlberechtigten Männern der Gemeinde gewählt (in anderen Fällen taten dies Delegierte der dem Gebietsamt angehörigen Gemeinden). Da Krasna gleichzeitig Gebiet und Dorf war, hatte es nur noch eine Verwaltungsebene mit dem Oberschulzen an der Spitze. Daneben gab es keine eigene Dorfverwaltung mehr. Alle Aufgaben des Schulzen übernahm der Oberschulz mit. Die Verwaltung von Krasna war daher eine Mischung aus Aufgaben des Gebietes und des Dorfes in einem. Es gab keinen Schulzen, sondern nur den Oberschulzen.
  • Die Schulzen und Oberschulzen verloren ihre Beisitzer. Dafür wurden zwei in anderen russischen Regionen schon vorher bestehende Institutionen 1871 auch in den Kolonien eingeführt Sotskii (Hundertmänner) und Desjatskie (Zehntmänner)1), die auf ein Jahr gewählt wurden und hauptsächlich polizeiliche Aufgaben hatten.

Der Sotski war Stellvertreter des Schulzen und verantwortlich für die Stellung von Fuhren und Frönern (s. Ziff. 10. Steuern, Abgaben. Naturalleistungen).
Die Zehntmänner (Desjatzki) erfüllten gemeindepolizeiliche Aufgaben, beaufsichtigten die Jugend, schritten bei Ruhestörungen ein, teilten die Nachtwachen ein und beaufsichtigten diese.
⇒ Zu Organisation und Personal für Sicherheit und Ordnung in der Gemeinde s. Ziff. 4.9

  • Der Oberschulze wurde weiter für drei Jahre gewählt. Die Wahl erfolgte nicht mehr wie früher mit Wahllisten, sondern in einem geheimen Wahlverfahren. Wann es konkret eingeführt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Da wir aus dem Jahre 1869 noch eine Wahlliste besitzen (s. oben), ist zu vermuten, daß es bald nach 1871 praktiziert wurde. Gewählt wurde jetzt mit einem „Kugelwahlsystem“. Wie es funktionierte, kann bei E. Ruscheinsky nachgelesen werden2): „Von der Gemeindeversammlung wurden Kandidaten zur Wahl als Oberschulz oder als Kandidat für ein anderes Amt vorgeschlagen. Jetzt wurden die vorgeschlagenen Kandidaten der Reihe nach abgestimmt. Die Wahl war geheim und verlief folgendermaßen: Die Wahlurne war ein Kasten. Anstatt Wahlzettel gebrauchte man Kugeln. Der Wahlkasten hatte ein Loch an der Vorderseite, er war durch Farbe in zwei Hälften eingeteilt. Die eine war weiß und die andere schwarz angemalt. Die weiße Seite galt als „dafür“ und die schwarze als „dagegen“. Wollte der Wähler den Kandidaten wählen, so ließ er eine Kugel nach weiß fallen, wenn nicht, so fiel die Kugel nach schwarz. Schwarz und weiß waren innen durch ein Brett getrennt. Der Wähler bekam von der Person, die die Wahl durchführte, vor dem Kasten eine Kugel in die Hand gedrückt. So gingen alle Gemeindemitglieder an dem Kasten vorbei. Derjenige Kandidat, der die meisten weißen Stimmen bekam, galt als Oberschulz.“
  • Der Kreis der Wahlberechtigten wurde erweitert. In den deutschen Gemeinden erhielt jeder Hofbesitzer bzw. Besitzer eines Landanteiles das Stimmrecht. Die übrigen Gemeindemitglieder entsandten für je zehn Einwohner einen Vertreter in die Dorfversammlung. Eine Stimmenmehrheit der Landlosen in der Gemeindevertretung wurde so von vornherein ausgeschlossen.
  • Der Verlust an Autonomie der ehemaligen Kolonien zeigte sich am Grad der Rechtsverbindlichkeit der Beschlüsse ihrer Gemeindeversammlungen:
    Die Wahl des Oberschulzen/Schulzen bedurfte der Bestätigung durch den Landvogt.
    Gemeindebeschlüsse von größerer Tragweite, dazu gehörten Jahresetat, öffentliche Bauvorhaben, die Geldmittel und Besteuerung betrafen, bedurften einer 2/3 Stimmenmehrheit und der Bestätigung durch den Landvogt.
    Gemeindebeschlüsse zu einfachen Sachverhalten wurden mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt; sie waren nach Bestätigung durch das Gebietsamt rechtskräftig. Da in Krasna Gebiet und Gemeinde sich deckten, waren solche Gemeindebeschlüsse sofort gültig.

Im alltäglichen Gemeindeleben von Krasna waren diese Veränderungen nicht so deutlich spürbar. Hier regierte weiterhin der Schulz/Oberschulz, und die Gemeindeversammlung blieb als politische Entscheidungsinstanz bestehen.
Die Gemeinde dingte weiter Pfarrer, Lehrer, Schreiber und das Hilfspersonal der Gemeinde.

⇒ Die Krasnaer Oberschulzen sind unter (Ziff. 7.8 Funktionsträger in der Verwaltung auf staatlicher und gemeindlicher Ebene) aufgeführt.

1)
Hundertmänner (Sotski)-sie wurden auf je 100 Familien gewählt- und die Zehntmänne (Desjazki) – sie wurden auf je 10 Familien gewählt.
2)
Eduard Ruscheinsky: Die Gemeindeverwaltung von Krasna/Bessarabien, Heimatbuch 25 Jahre nach der Umsiedlung 1965. S. 47,
krasna/f-04-08-22.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/02 09:37 von Otto Riehl Herausgeber