Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


krasna:h-06-03-00

6.3 Gesundheitswesen

Ärztliche Versorgung

In der Zeit, als die Kolonisten nach Bessarabien kamen, gab es in Rußland selbst in größeren Städten nur wenige Ärzte, selten Krankenhäuser. Arzneimittel waren teuer. In diese Situation hinein kamen nun die bessarabischen Ansiedler in ihre armseligen Hütten, in denen die hygienischen Verhältnisse, besonders in den ersten Jahrzehnten sehr mangelhaft waren.
Im ersten halben Jahrhundert nach ihrer Ankunft gab es in Krasna oder den umliegenden Orten praktisch überhaupt keine ärztliche Hilfe. Der Kolonialarzt des Fürsorgekomitees war weit weg, in Odessa. Die Kolonisten mußten sich auf einfache Weise helfen mit den Mitteln, die sie hatten. Das waren alte Hausmittel. Die Hebamme half und einige Leute, die gewisse Kenntnisse mit Heilpflanzen hatten. Natürlich war das auch ein Feld für Kurpfuscher und Quacksalber.

Der erste Arzt für Bessarabien ließ sich 1827 in Sarata nieder. Er betreute die deutschen Kolonien und kam einmal im Monat in bestimmte Zentren, so nach Tarutino. Als er 1863 starb, kam zum Glück im selben Jahr der erste frei praktizierende Arzt nach Tarutino.
Im Dorf war eine Art Krankenschwester (Feldscheritzin), die bei Notfällen so gut sie konnte half. Sie fungierte oft zugleich als Hebamme. Nur in ernsten Krankheitsfällen wurde mit dem Pferdefuhrwerk ein Arzt aus dem 10 km entfernten Tarutino geholt oder der Patient dorthin gebracht. Aber wenn Epidemien ausbrachen, war man völlig machtlos (s. Ziff. 6.1 Katastrophen, Seuchen, Mißernten, tierische Schädlinge. Erdbeben).

1873 nahmen sich die Landstände (Semstwo) des Gesundheitswesens an. In Tarutino wurde ein erstes Hospital eingerichtet. Dieses Engagement war ein Wendepunkt auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge. In den folgenden Jahren eröffneten weitere Arztpraxen.
Krankenhäuser gab es auch in Sarata (seit 1883) und Arzis (seit 1913). Schwere Erkrankungen konnten jetzt von Ärzten behandelt werden. Bei Unfällen und leichten Erkrankungen wurde weiter nach der alten Methode verfahren.

Nach dem Anschluß an Rumänien wurde es allmählich besser. Es gab jetzt in weiteren Dörfern Ärzte, so in Beresina, Friedenstal, Arzis, Klöstitz und Wittenberg.
Trotz dieser Verbesserungen herrschten auch 100 Jahre nach der Niederlassung des ersten Arztes noch recht anspruchslose gesundheitliche Verhältnisse. 1937 praktizierten unter den rund 92.000 Bessarabiendeutschen nur etwa 20 deutschstämmige Ärzte, daneben einige wenige Mediziner anderer Nationalität und vier Zahnärzte.

Unterstützt wurden die wenigen Ärzte weiterhin durch die Feldscheritzin- eine Sanitäterin- am Ort. Sie war für die Behandlung von Notfällen, das Setzen von Injektionen ausgebildet. Sie entschied oft darüber, ob im Krankheitsfall ein Arzt konsultiert werden sollte. Die Feldscheritzin entschied auch über die Transportfähigkeit des Kranken. War dies nicht der Fall, kam der Arzt auf den Hof. Notfalls erfolgte eine Operation auf dem Küchentisch.

In Krasna gab es zu keiner Zeit eine Arztpraxis. Sowohl in russischer wie in rumänischer Zeit mußte stets der Amtsarzt gerufen werden. Es war immer schwierig, den Kranken oder die Angehörigen davon zu überzeugen, daß ein Mediziner notwendig war. Der Arztbesuch war nicht beliebt und kostete überdies Geld. Eine Krankenversicherung gab es nicht, erste Anfänge dazu erst in rumänischer Zeit. Der Aufenthalt im Krankenhaus war teuer. Für manch einen Bauern bedeutete es den wirtschaftlichen Ruin, wenn ein Familiemitglied ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Deshalb wurde ein Krankenhausaufenthalt allenfalls bei ganz schlimmen Erkrankungen in Erwägung gezogen. Es war selbstverständlich, daß die Angehörigen und Nachbarn die Kranken betreuten. Ebenso selbstverständlich war es, daß das Leben dort ein Ende nahm, wo es begonnen hatte, nämlich in der Familie, zu Hause.

Zahnärzte

Die Leute haben nur selten Zahnärzte in Anspruch genommen. Es gab in den letzten Jahren einen in Tarutino.

Hebammen

Sie erlernten ihre praktischen Kenntnisse von älteren Hebammen. In rumänischer Zeit war an sich ein Examen vorgeschrieben, aber in der Praxis nahm man das nicht so genau. Die Hebamme nannte man in Krasna ‚Großmutter’; die richtige Großmutter wurde mit Mutter angesprochen, die Mutter war die Mamme.
Die Kindersterblichkeit und die Todesrate der Mütter gleich nach der Entbindung waren hoch, besonders bis in die 1920er Jahre. Dies sind Zeichen mangelnder Hilfen.

Apotheke

Erst in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde in Tarutino eine Apotheke eingerichtet. In rumänischer Zeit bestanden in Tarutino zwei Apotheken.

Tierpflege

Im ganzen 19. Jahrhundert war die Tierpflege nur als mangelhaft zu bezeichnen. Nicht zuletzt darauf ist der katastrophale Ausgang der vielen Viehseuchen zurückzuführen.
⇒ Ziff. 6.1 Katastrophen, Seuchen, Mißernten, tierische Schädlinge. Erdbeben

Wie für die Betreuung kranker Menschen, so haben sich die Kolonisten allmählich Kenntnisse zur Behandlung erkrankter Tiere angeeignet. Sie haben diese Kenntnisse dann nach bestem Wissen angewandt. Um die Jahrhundertwende wurde schrittweise eine tierärztliche Versorgung aufgebaut, wenn auch bei kleineren Beschwerden und bei Geburten immer noch die Behandlung durch Laien der Normalfall blieb.
Der staatliche Tierarzt in Tarutino war in den letzten Jahren vor der Umsiedlung auch für Krasna zuständig. Vorher gab es praktisch keinen.

krasna/h-06-03-00.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/03 11:27 von Otto Riehl Herausgeber