Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


krasna:f-04-02-01

4.2.1 Landeigentumsrecht

Die geltenden Landeigentumsregeln bis 1871

Bei der Ansiedlung erhielt jede Familie 60 Desjatinen Land (Kronsland). Ein „Familienstück“ dieser Größe bildete zusammen mit den dazu gehörenden Wirtschaftseinrichtungen einen Hof, genannt „Wirtschaft“, die von den Besitzern weder geteilt noch verkauft oder verpfändet werden durfte.
Das Kronsland war nicht Privatbesitz. Die ganze Gemeinde war Besitzerin des gesamten zur Kolonie gehörenden Kronslandes, und die einzelnen Familien bekamen den auf sie entfallenden Landanteil nur zur persönlich-erblichen Nutznießung, ohne ein uneingeschränktes Eigentum an dem Land zu haben. Beim Aussterben einer Familie fiel das Land an die Gemeinde zurück. Darüber hinaus gab es eine Beschränkung der erblichen Verfügbarkeit (s. unten). Wurde eine Wirtschaft schlecht geführt, konnte durch Beschluß der Gemeinde und mit Zustimmung des Fürsorgekomitees einem Kolonisten die Nutzung entzogen werden. Solche Fälle gab es wohl auch in Krasna. Auffällig ist im Census 1835/1850, daß viele Wirte wegzogen und neue hinzukamen.
⇒ s. Ziff. 7.5 Fluktuation bei den Kolonisten Krasnas

Obwohl die Wirtschaft unbelehnbar und unverkäuflich war, bildete sich im Laufe der Jahre als Gewohnheitsrecht heraus, Anteile an Kronsland zu „verkaufen“. Da es aber nicht persönlicher Besitz war, trat der Verkäufer eigentlich nur das Recht der Nutznießung an den Käufer ab. Doch durfte auch dies nur mit Zustimmung der Gemeinde und nur an vollberechtigte Mitglieder derselben Gemeinde geschehen. Kein Ausländer, kein Jude, kein Russe, aber auch kein anderer deutscher Kolonist, selbst nicht von der benachbarten Gemeinde derselben Okruga (Bezirk), wenn er auch Verwandte im Dorf hatte, konnte sich in einer Kolonie Land, ein Haus oder auch nur einen Garten kaufen.
Einerseits ergaben sich aus dieser Regelung empfindliche Einschränkungen. Andererseits aber war damit auch die Bewahrung des deutschen Charakters der Kolonie auf Dauer gesichert.

Wie oben ausgeführt, gab es am Anfang ein striktes Teilungsverbot für die Höfe. Damit sollte der Zersplitterung des Besitzes und der Verarmung der Gemeinden vorgebeugt werden. Die Bestimmung 1 Hof=1 Familie ist aber im Laufe der Zeit gelockert worden. Schon in der zweiten Generation wurden unter der Hand Zerstückelungen der Familienanteile vorgenommen.
Die Unteilbarkeit der Wirtschaften wurde schließlich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts offiziell aufgehoben. Dadurch wurde auch das Minorat (s. unten Erbrecht) hinfällig. In den Mutterkolonien waren danach bald die meisten Wirtschaften, die ursprünglich 60 Desjatinen enthielten, durch Vererbung in Hälften, Viertel und Achtel geteilt. Dies war auch in Krasna der Fall. Nach einer Aufstellung von 1871 gab es noch 42 ganze Wirtschaften, die übrigen 72 waren bereits mindestens einmal geteilt, in vielen Fällen schon öfter1).

Geltende Regelung nach Aufhebung des Kolonistenstatus 1871

Für die Kolonisten hatten die Reformen von 1871 einschneidende Folgen, s. Ziff. 2.3 Die Veränderungen ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. (etwa 1860-1918). Das Landeigentumsrecht wurde durch das Gesetz vom 04. 06.1871 umgedeutet. Früher hatte der Bauer ein vererbbares Nießbrauchsrecht an dem von ihm gehaltenen Land. Nach neuem Recht war der Bauer selbst Eigentümer seiner Parzellen geworden, aber von der Gemeinde immer noch abhängig insofern, als sie ein Mitspracherecht beim Verkauf des Landes behielt. Der Verkauf an Personen, die nicht Dorfgenossen waren, war immer noch nur mit Zustimmung der Gemeinde gestattet, die meistens den Verkauf an Nichtansiedler (z.B. Juden, Russen) weiterhin untersagte.

Jeder Ansiedler erhielt jetzt eine Besitzurkunde. Bei der Abfassung der Besitzurkunde wurden die früheren Familienanteile von 60 Desjatinen in erbliche Hofanteile nach der Zahl der in jeder Familie vorhandenen männlichen Familienmitglieder zerlegt. Man bekam eine Masse kleiner Eigentümer in jedem Dorf, in Krasna gut 200.
⇒ s. Ziff. 4.3 Landbesitzer und Landlose in Krasna

Die nach dem Gesetz vom 12.06.1886 bestehende Möglichkeit, die sogenannte „Loskaufsteuer“ vorzeitig abzuzahlen (s. Ziff. 4.10 Steuern, Abgaben. Naturalleistungen), brachte keine wirkliche Veränderung in bezug auf das Besitzrecht. Auch jetzt waren die Eigentümer von ehemaligem Kronsland noch nicht völlig frei in der Disposition über ihr Land. Hinzu kam, daß für die deutschen Kolonisten der Landerwerb zunehmend erschwert wurde, z. B. durch Gesetze von 1887 und 1892.

Erst durch das Stolypinsche Gesetz vom Jahre 1906 wurden die deutschen Bauern vollberechtigte Besitzer ihres Grund und Bodens. Nach diesem Gesetz wurde der Gemeinbesitz mit allen seinen Folgen aufgehoben und das Gemeindeland an die gegenwärtigen Teilhaber als persönliches Eigentum verteilt. Höfe und Häuser waren nun vollständig frei, Verkäufe nicht mehr an die Zustimmung der Gemeinde gebunden. Doch die deutschen Bauern konnten sich dieses Rechtes nur für kurze Zeit erfreuen, denn 1915 erschienen die Liquidationsgesetze, die den gesamten deutschen Landbesitz aufhoben.
⇒ s. Ziff. 4.3 Die Veränderungen ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. (etwa 1860-1918)

Die Besitzbriefe, die nach dem Gesetz von 1871 den bei ihrer Ausstellung bestehenden Rechtszustand festhalten sollten (s. oben), offenbarten Unstimmigkeiten, Ungenauigkeiten. Hinzu kam, daß in den folgenden Jahren bei Grundstücksverkäufen ein Schlendrian einriß. Kaum ein Bauer in den deutschen Dörfern ließ sich den Kauf oder Verkauf von Land notariell beglaubigen. Manche ließen sich Quittungen geben über die bezahlte Summe, andere hielten eine mündliche Abmachung für ausreichend. Im Jahre 1905 schrieb zu diesem Problem die Odessaer Zeitung2): „…Seit 30 Jahren wird auf solche Weise in den Gemeinden gewirtschaftet. Es ist bereits so weit, daß viele keinen Kaufbrief mehr vorweisen können, sie sind weder die direkten Erben zu dem Land, das sie besitzen, noch haben sie einen förmlichen Kaufbrief.“

Dieses Problem bestand auch in Krasna. Man gab Land weiter (Vererbung, Schenkung oder Aufteilung bei der Verehelichung der Kinder) ohne notarielle Beurkundung, vielfach in Ehekontrakten („Aufnahmen“ bei der Verheiratung) festgehalten, oftmals aber auch nur mündlich abgesprochen. So hatten in vielen Fällen die Söhne, in manchen Fällen schon die Enkel, das Land in Besitz, das auf den Namen des Vaters oder Großvaters eingetragen war. Dies führte immer wieder zu Komplikationen, wenn es darum ging, das Eigentum an einem bestimmten Stück Land nachzuweisen.

Einige Krasnaer haben sich deshalb durch Gemeindebeschluß das Eigentum an ihren Parzellen bestätigen lassen. Diese Beschlüsse gründeten auf dem Agrargesetz vom 09. November 1906, das ein entsprechendes Vorgehen vorsah. Dem Verfasser liegt ein solcher Beschluß der Krasnaer Gemeindeversammlung vom November 1909 vor.

Landbesitzrecht in rumänischer Zeit

Das brennendste Problem der Kolonisten gleich nach dem Anschluß an Rumänien war die Wiedererlangung ihrer Besitzrechte. Ein Kongreß der Deutschen vom 07.03.1919 bat die rumänische Regierung um Aufhebung der (russischen) Enteignungs- und Liquidationsgesetze.
⇒ s. Ziff. 2.3.3 Der erste Weltkrieg (1914-1918)

Ein königliches Dekret vom 06.10.1919 hat die Gesetze aufgehoben und die früheren Besitzrechte der Kolonisten bestätigt. Den bessarabischen Bauern wurde versprochen, sie wieder in ihr Eigentumsrecht einzusetzen, wenn sie den Eigentumsnachweis aus russischer Zeit erbringen können. In Verbindung mit dem deutschen Volksrat in Tarutino wurden die erforderlichen Formalitäten beim Kreistribunal durchgeführt. Die Landbesitzer mußten dafür eine Gebühr bezahlen. Die Verfahren, die zur Rückerstattung der enteigneten Ländereien führten, waren langwierig3).

Früher bestand bei wachsendem Landbedarf der deutschen Mutterkolonien eine Ausweichmöglichkeit auf gutsherrlichen Grundbesitz, wo man Tochterkolonien anlegen konnte. Dieser Ausweg war unter rumänischer Ägide versperrt. Das rumänische Agrargesetz vom 13. 03. 1920, das die Umgestaltung ländlicher Eigentumsverhältnisse zur Hebung des Bauernstandes bezweckte, beschränkte den Landbesitz eines Bauern oder Gutsbesitzers auf je 100 ha. Landbesitz über 100 ha wurde enteignet. Wer nicht vorher seine überschießenden Flächen an Familienangehörige übertragen oder das Land verkauft hatte, wurde enteignet gegen eine sehr niedrige Entschädigung.
⇒ s. Ziff. 4.3 Landbesitzer und Landlose in Krasna Die geltenden Landeigentumsregeln bis 1871

1)
State Archive of the Odessa Region, not identified as to Fond, Inventory
2)
Odessaer Zeitung 1903, Ne. 223, S. 2
3)
Gute Beschreibung des Verfahrens bei Hugo Häfner, Kolonistenland Heimatkalender der Bessarabiendeutschen 1977, S. 34 ff
krasna/f-04-02-01.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/01 10:41 von Otto Riehl Herausgeber