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krasna:f-04-09-01

4.9.1 Gerichtsbarkeit

Russische Zeit bis 1871

Die oberste Verwaltungsbehörde, das Fürsorgekomitee, war bis 1871 zugleich richterliche Behörde.
Bei Strafsachen unterstanden die Kolonisten von Anfang an den allgemeinen Gerichten, ebenso in Zivilsachen gegen Nichtkolonisten. Alle übrigen Rechtsangelegenheiten zwischen Kolonisten und sogenannte Polizeivergehen gehörten in den Zuständigkeitsbereich des Schulzengerichts (Dorfamt), des Gebietsamtes, des Kolonialinspektors und des Fürsorgekomitees.

Die Zuständigkeit war abhängig von der Art der anhängigen Rechtssache

  • Strafsachen
    • die allgemeinen Gerichte (Landgericht in Akkerman).
  • Zivilsachen zwischen Kolonisten und Nichtkolonisten
    • die allgemeinen Gerichte.
  • Zivilsachen zwischen Kolonisten (Wirtschafts-, Erbschaftssachen, sonstige bürgerliche Streitigkeiten)
    • das Dorfamt (Schulz) in weniger bedeutsamen Streitfällen,
    • das Gebietsamt (Oberschulz) in wichtigeren Streitfällen,
    • das Fürsorgekomitee als oberste Instanz.
  • Polizeivergehen (dazu zählten „Liederlichkeit“, Diebstahl, schwere Beleidigungen der Schulzen)
    • je nach Schwere Kolonialinspektor, Kontor, Fürsorgekomitee

Der Schulz schlichtete die leichteren Fälle selber und bestrafte die Schuldigen. In schweren Fällen machte er einen Bericht an das Gebietsamt. Dort war der Oberschulz mit richterlichen Befugnissen ausgestattet. Er konnte höhere Strafen auferlegen als der Schulz. Was dieser nicht entscheiden konnte, kam vor den Kolonialinspektor oder das Fürsorgekomitee.
Der Dorfschreiber war der Gesetzeskundige, der den Schulzen und die Beisitzer zu beraten hatte.
Die Strafen auf Gemeindeebene waren vielfach Körperstrafen, aber auch Geldstrafen, Gemeindearbeit, Fronen, seltener war Arrest. Im äußersten Falle konnten die Gemeindeämter die Entlassung aus dem Kolonistenstand beantragen.
Alle verhängten Strafen mußten in das sogenannte Schnurbuch eingetragen werden. Das Fürsorgekomitee ließ sich die Bücher von Zeit zu Zeit vorlegen und verfolgte darin festgestellte Unregelmäßigkeiten oder mangelhafte Führung der Bücher.

Russische Zeit nach 1871

Nach Auflösung des Fürsorgekomitees blieb dem Schulzenamt die richterliche Befugnis erhalten. Der Schulz (in Krasna der Oberschulz –s. Ziff. 4.8.2.2 Die Selbstverwaltung auf lokaler Ebene) konnte weiterhin in begrenztem Rahmen Verstöße und Vergehen mit Geldstrafen, körperlicher Züchtigung oder Einsperren in das Dorfgefängnis (Ostrok) ahnden.

Für die Gebiete (Wolosten) wurden jetzt selbständige Gerichte geschaffen, die Wolostgerichte (Wolostnoj sudj), bestehend aus einem Vorsitzenden und drei Richtern, die von den Kolonisten direkt mit Stimmenmehrheit auf drei Jahre gewählt wurden. Sie hatten über Streitigkeiten unter den Bauern und auch über kleine Vergehen und Übertretungen zu urteilen.

Das Wolostgericht – ein solches war dem Gebietsamt Krasna zugeordnet - war ein richtiges Bauerngericht, denn hinter dem grünen Tisch saßen nur Bauern, die das Wort „Jurist“ kaum kannten. Für die Schriftführung war Russisch vorgeschrieben, in den Verhandlungen konnte nötigenfalls Deutsch gesprochen werden. In den seltensten Fällen wurde gegen das Urteil ein Rechtsmittel eingelegt.
E. Ruscheinsky schreibt1)): „Für schwere Vergehen gab es bei jedem Gebietsamt ein sogenanntes Wolostgericht (Amtsgericht). Das Wolostgericht bestand aus drei Schöffen und einem Vorsitzenden. Die Schöffen und der Vorsitzende wurden aus der Mitte der Gemeindeversammlung gewählt. Die Wahl ging ebenso vor sich wie die Wahl des Oberschulzen und seiner Beisitzer. Der Kandidat mit den meisten Kugeln war der Vorsitzende. Die anderen drei mit den meisten Stimmen waren die Schöffen. Schriftführer des Wolostgerichtes war der Gemeindeschreiber-Gebietsschreiber. Dieser Mann war die Seele des Wolostgerichtes und auch der Sachverständige. Bevor das Wolostgericht zum Amtsantritt schritt, wurden die gewählten Richter in Gegenwart des Landeshauptmannes (Semski Natschalnik) vereidigt. Das Wolostgericht war befugt, mit einem Monat Gefängnis und bei Zivilsachen mit 600 Rubel zu bestrafen…. Wer gegen Urteile des Wolostgerichtes Beschwerde erheben wollte, konnte das in einer gewissen Zeit beim Kreisgericht tun, russisch “ Ujesdnye Sjesd“ genannt. Das kam in Krasna so gut wie nicht vor, denn es war mit größeren Auslagen verbunden, und es gab in der russischen Zeit auf dem Lande keine Rechtsanwälte. Diese gab es höchstens in der Kreisstadt.“

Leider sind keine Namen von Krasnaer Wolostrichtern überliefert, obwohl dies doch eine wichtige und auch ehrenvolle Aufgabe in der Gemeinde war.

Richterliche Gewalten und Gerichtsinstanzen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Rußland relativ komplex. Es würde zu weit führen, sie detailliert darzustellen. Sie spielten im Alltag der Kolonisten von Krasna, wie E. Ruscheinsky dargelegt hat, keine große Rolle.
Hier werden deshalb nur noch einige ganz allgemeine Hinweise gegeben.

  • Den Wolostgerichten wurde ein Friedensrichter als Einzelrichter zugeordnet, zuständig für Zivil- und Strafsachen minderen Streitwerts. Er hatte seinen Sitz in Tarutino.
  • Nach der Reform von 1871 fungierten in Bessarabien anstelle der Kolonialinspektoren in der Verwaltung zunächst Friedensvermittler, die neben exekutiver auch in gewissem Umfang richterliche Gewalt hatten. Dieses Institut bestand nur wenige Jahre.
  • Der Landvogt (Semski Natschalnik), der die Friedensvermittler ablöste (1893), hatte ebenfalls richterliche Gewalt.

Über dem Wolostgericht und den anderen genannten Stellen gab es Appellations- und Kassationsinstanzen, auf die hier nicht weiter eingegangen wird.

Rumänische Zeit

Dem Verfasser liegen keine Informationen über die im einzelnen damals geltenden Bestimmungen vor. Ähnlich scheint es auch den Chronisten der Krasnaer Nachbardörfer gegangen zu sein. Auch dort finden sich nur wenige Aussagen. Sicher ist, daß es unter rumänischer Ägide keine lokalen Gerichte wie das russische Wolostgericht mehr in den deutschen Kolonien gab. Allgemein kann gesagt werden, daß in Rumänien Exekutive und Judikative deutlich getrennt waren:

  • der Primar hatte bestenfalls Schlichtungsbefugnisse aber keine richterlichen Befugnisse,
  • der Pretor, der die Plasa beaufsichtigte, hatte, anders als der Landvogt in russischer Zeit, ebenfalls keine richterlichen Kompetenzen.

Die unterste Gerichtsinstanz war das Friedensgericht (Judecattoria de pace) des Bezirks (das in Tarutino war für Krasna zuständig). Als nächste Instanz folgte das Tribunal in der Kreisstadt Akkerman. Darüber stand der Appellationsgerichtshof (Curtea de apel). Als letzte Instanz fungierte der Hohe Revisionsgerichtshof (Inalta Curte de Casazie schi revizuire).

1)
Eduard Ruscheinsky berichtet über das Wolostgericht von Krasna: Die Gemeindeverwaltung von Krasna/Bessarabien
krasna/f-04-09-01.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/02 09:55 von Otto Riehl Herausgeber