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krasna:d-02-04-02

2.4.2 Sowjetisches Bessarabien, Zeit bis zur Umsiedlung (Juni –November 1940)

Am 23.6.1940 unterrichtete der damalige sowjetische Außenminister Molotow den deutschen Botschafter in Moskau von der Schulenburg von der unmittelbar bevorstehenden Besetzung Bessarabiens durch die UdSSR (s. oben). Der deutsche Außenminister von Ribbentrop ließ Molotow ausrichten, daß Deutschland an der Bessarabischen Frage desinteressiert sei, jedoch nicht am Schicksal der dort lebenden ca. 100.000 Volksdeutschen und erwarte von der UdSSR, daß ihre Zukunft sichergestellt werde. Man habe vor, der Sowjetunion zu gegebener Zeit Vorschläge für die Umsiedlung dieser Volksdeutschen zu unterbreiten.

Am 26.06. meldete Schulenburg nach Berlin, daß Moskau die Zusicherung gegeben habe, die deutschen Wünsche hinsichtlich der Volksdeutschen in Bessarabien zu erfüllen.
Die rumänische Regierung fügte sich am 27. Juni 1940 kampflos dem sowjetischen Ultimatum vom Vortag und trat Bessarabien an die Sowjetunion ab. Schon am Tage vor dem sowjetischen Ultimatum hatte der deutsche Gauleiter in Bessarabien, Broneske, vom deutschen Botschafter in Bukarest einen Hinweis auf die bevorstehende Entwicklung erhalten. Im Verlauf des 28.06.1940 begannen die Sowjets mit der Besetzung des Landes. Sie stießen dabei gelegentlich mit den abziehenden rumänischen Truppen zusammen, denen man vier Tage Zeit eingeräumt hatte, sich aus diesem Gebiet zurückzuziehen. Der Rückzug des rumänischen Militärs geriet schon nach kurzer Zeit in eine panikartige Flucht1).

Herbert Gäckle berichtet in seiner Chronik von Alt-Posttal2)) „Am 29. Juni 1940 zogen die ersten sowjetischen Truppen durch unser Dorf. Die ersten russischen Zivilbeamten von der Bezirksverwaltung und Polizeileitung in Tarutino kamen Anfang Juli nach Alt-Posttal.“
Etwa um diese Zeit kamen wohl auch sowjetische Truppen nach Krasna. Kaspar Ternes schreibt3): „Dann rückte die rote Armee mit schweren Kettenfahrzeugen in unser Dorf ein. Auf einer Wiese im Oberdorf schlug die Mannschaft ihre Zelte auf. Die Offiziere suchten sich Privatquartiere aus“.
Max Riehl erinnert sich: „Ungeordnet in Gruppen oder auch einzeln zogen die jungen Männer der rumänischen Armee von Dorf zu Dorf in Richtung Heimat. Ganz anders kam das Vorkommando der Roten Armee in Krasna an. Stramme junge Männer in ordentlichen Uniformen, mit blank geputzten Fahrzeugen fuhren in das Dorf ein. Ein großes Zeltlager wurde am Dorfrand aufgestellt für die nachkommenden Truppen. Bei deren Ankunft verschlechterte sich das Erscheinungsbild der Roten Armee zusehends. Die Rekruten kamen ungepflegt in einer Uniform, die nicht der Witterung angepaßt war. Die Truppenführung hielt die einfachen Soldaten auf Distanz zu den Dorfbewohnern.“

Unmittelbar nach Beginn des sowjetischen Einmarsches wurde die deutsche Volksgruppe darüber informiert, daß sie unter dem Schutz des Deutschen Reiches stehe und demnächst eine Umsiedlung erfolge. Dies erklärt zumindest zu einem Teil, warum unter den Deutschen im Gegensatz zu anderen Volksgruppen keine größere Fluchtbewegung einsetzte.

Während die sowjetischen Behörden die Deutschen einigermaßen korrekt behandelten, drohte ihnen Gefahr von Leuten, die sich benachteiligt fühlten und jetzt glaubten, sich Besitztümer von Deutschen holen zu können. Diese Situation hatten die sowjetischen Stellen aber schon nach den ersten chaotischen Tagen, die dem Einmarsch folgten, im Griff. Obwohl die Besatzer Deutschen im allgemeinen keine Gewalt antaten, herrschte unter ihnen große Angst. Die Bessarabiendeutschen sahen mit eigenen Augen wie die Sowjets mit nichtdeutschen Nachbarn verfuhren. Die sich anbahnenden Zwangsmaßnahmen der sowjetischen Stellen machten allen Deutschen klar, was sie künftig erwartete. Schlimmes ließen die nächtlichen Verhaftungen von Gutsbesitzern und Angehörigen anderer Volksgruppen erahnen. Aber auch für die Deutschen war die Lage nicht gänzlich risikolos. Josef Erker erinnert sich, daß ein russischer Offizier einen Zettel verlor, auf dem Namen von 127 Krasnaer Einwohnern vermerkt waren. Es war nicht zu ersehen, was es damit auf sich hatte, vermutlich nichts Gutes. Deshalb ließ man den Zettel verschwinden, worüber dieser Offizier ziemlich wütend wurde.

Das Leben der Bessarabiendeutschen war sofort einschneidenden und beängstigenden Veränderungen unterworfen. Die bisherigen Primare (Bürgermeister) wurden abgesetzt und durch sogenannte Dorfräte ersetzt. Das waren oft Leute, die durch nichts für diese Aufgabe prädestiniert waren. In Krasna wurde der Kuhhirte Simeon nun Ortsvorsteher.
⇒ s. Ziff. 4.8 Die Verwaltung

Die deutschen Bewohner durften zunächst ihre Ortschaften nicht verlassen, deutsche Zeitungen durften nicht mehr erscheinen. Innerhalb weniger Tage waren alle Waren ausverkauft, insbesondere, weil die russischen Soldaten mit den zu günstigen Kursen in Lei umgetauschten Rubeln alles aufkauften, was vorhanden war. Wirtschaft und Handel brachen deshalb schnell zusammen. Eine schlagartige Verschlechterung der Lebensbedingungen war die Folge.

Die Schulen wurden geschlossen, die Krankenhäuser und Apotheken beschlagnahmt. Der freie Verkehr auf den Straßen war eingeengt, Fahrten auf der Eisenbahn nur mit Genehmigung erlaubt. Banken, Industrieunternehmen und vermietete Häuser wurden enteignet, ein Teil der Häuser für Truppen requiriert. Grundlage für diese Maßnahmen war der Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 15. 08.1940.

Die Steuern für das Jahr 1940, die die Bessarabiendeutschen größtenteils an die rumänischen Behörden vorausgezahlt hatten, um in den Genuß der für Vorauszahlungen angesetzten Prämien zu gelangen, mußten noch einmal in voller Höhe abgeleistet werden. Die Leistungen mußten, da der Lei über Nacht für ungültig erklärt worden war, in Naturalien erfolgen, vor allem in Getreide. Neben den Steuer-Ablieferungen wurde ein weiteres Ablieferungssoll auferlegt. Die Ablieferungsmodalitäten waren ungerecht und drückend. Das festgesetzte Soll lag oftmals höher als die eingebrachte Ernte. War die Ablieferung in einer Getreideart, etwa wegen zu hoher Ansetzung des Solls, unmöglich, war ersatzweise das Vielfache einer anderen anzuliefern. Es gab lange Wartezeiten an den Ablieferungsstellen.

Sofort nach Einzug der sowjetischen Truppen begann die Kollektivierung der Landwirtschaft, wenn auch vorerst noch nicht in den deutschen Dörfern. Sowchosen und Kolchosen wurden gegründet. Eine Ansiedlung von Russen, Ukrainern und Weißrussen begann. Gleichzeitig setzte eine Welle der Repression gegen die Bevölkerung ein (gegen die vermeintlich politische Opposition). Die Deutschen erfuhren von Deportationen ukrainischer, rumänischer und jüdischer Intellektueller und Grundbesitzer nach Sibirien. Viele Verhaftungen — nicht krimineller, sondern politischer Art — wurden durchgeführt.

Am 2. August 1940 teilte die Sowjetunion Bessarabien und gründete für den größten Teil des Nordens und der Mitte des Landes die Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (MolSSR) und schlug ihr die östlich des Dnjestr gelegenen Moldauischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (MASSR) zu. Der Süden und das Gebiet im Norden um die Stadt Chotyn (Oblast Czernowitz) ging einschließlich des deutschen Siedlungsgebietes an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (USSR).

Obwohl die Deutschen zunächst eine gewisse Schonung erfuhren, weil sie unter dem Schutz des Deutschen Reiches standen, wurde ihnen die radikale Veränderung ihrer gesamten Lage durch die Maßnahmen klar, die die Sowjets seit ihrem Einmarsch durchführten. Seit bekannt wurde, daß sie umgesiedelt werden sollten, stand das Leben der Deutschen in Bessarabien fast ausschließlich unter diesem Blickwinkel (s. Ziff. 2.5.1. Die Umsiedlung). Es waren lange und bange Wochen und Monate von der Ankunft sowjetischer Truppen Ende Juni 1940 bis zum Eintreffen des deutschen Umsiedlungskommandos im September.

⇒ Was nach dem Auszug der Deutschen geschah s. Ziff. 9. Der Ort Krasna nach Auszug der Deutschen bis heute.

1)
Über den rumänische Truppenabzug und das Auftauchen der ersten sowjetischen Soldaten berichtet Paul Rath in Wittenberg Bessarabien. Die Geschichte eines Dorfes in der Steppe, S.176 ff.
2)
Gäckle, Herbert, Geschichte der Gemeinde Alt-Posttal (Bessarabien
3)
Ternes, Kaspar; Überlieferungen aus der Zeit der Umsiedlung und danach, Jahrbuch der Deutschen aus Bessarabien Heimatkalender 2002, S. 189
krasna/d-02-04-02.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/01 09:55 von Otto Riehl Herausgeber