Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


krasna:d-02-05-01

2.5.1 Die Umsiedlung

Das Schicksal der Bessarabiendeutschen wurde 1939 entschieden, ohne daß die Betroffenen davon etwas wußten. In einem geheimen Zusatzprotokoll des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffsvertrages (Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939) hatte das Deutsche Reich der Sowjetunion Bessarabien als Interessensgebiet zugestanden.

In seiner programmatischen Rede vor dem Reichstag am 06. September 1939 kündigte Hitler die Rückholung aller deutschen Volksgruppen aus dem Ausland an, wobei er die Deutschen in Südosteuropa ausdrücklich einbezog. Am 9. Oktober 1939 wurde der Reichsführer-SS Heinrich Himmler als „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums” mit der Durchführung dieser Aufgabe betraut. Vorüberlegungen und -planungen zu einer Umsiedlung der in Betracht kommenden Volksgruppen begannen.

Die Bessarabiendeutschen hatten aus Hitlers Reichstagsrede vom Oktober 1939 abgeleitet, daß auch sie umgesiedelt werden sollten. Da aber zu diesem Zeitpunkt nichts Konkretes erkennbar war, kam es zu einem Gefühl der Unsicherheit. Keiner wußte wie, was und wann passieren sollte. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Aufgrund der zunehmenden Spannungen mit der Sowjetunion traf die rumänische Regierung gewisse Vorkehrungen. In Bessarabien wurden die Getreidevorräte blockiert, d.h. sie durften nur noch an den Staat verkauft werden. Bei vielen Bauern wurden Pferde requiriert. Das alles waren böse Vorzeichen.

Als sich Rumänien am 27. Juni 1940 der Abtretung Bessarabiens an die Sowjetunion fügte, wurde das Problem einer Umsiedlung der Bessarabiendeutschen akut. (s. Ziff. 2.4. Zugehörigkeit zu Rumänien und zur Sowjetunion (1918-1940)).

Am 22. Juli 1940 begannen in Moskau die harten Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und dem Deutschen Reich über einen Umsiedlungsvertrag. Sie wurden am 5. September 1940 durch Unterzeichnung des Vertragswerkes abgeschlossen, nachdem die deutsche Seite in der Frage der Entschädigung deutschen Eigentums nachgegeben hatte. Die deutsch-sowjetische „Vereinbarung über die Umsiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung aus den Gebieten von Bessarabien und der Nördlichen Bukowina in das Deutsche Reich” und das beigefügte Zusatzprotokoll regelten alle Modalitäten der Umsiedlung.

Die Umsiedlung war für die Zeit vom 05. September (Vertragsabschluß) bis 15. November 1940 vereinbart worden. Das waren gerade zwei Monate, die zudem in eine wetterunbeständige Jahreszeit fielen.
⇒ Einzelheiten zu Vorbereitung, Registrierung Umsiedlungstransport können nachgelesen werden unter Ziff. 8.1. Vorbereitung der Umsiedlung und Transport nach Deutschland.

Die Aufgabe der Heimat, des eigenen Grund und Bodens, fiel insbesondere den wohlhabenderen, religiös gebundenen Bauern nicht leicht. Aber die Krasnaer kannten das Schicksal ihrer deutschen Landsleute jenseits des Dnjestr, die 1917 bei der Sowjetunion verblieben waren. Von dort kamen in den 20er Jahren immer wieder Flüchtlinge nach Krasna, die von schlimmen Erlebnissen mit der Sowjetmacht berichteten1). Die Krasnaer sahen auch mit eigenen Augen wie die Sowjets nach dem Einmarsch im Sommer 1940 mit nichtdeutschen Nachbarn verfuhren und wie sich ihre eigenen Lebensbedingungen schlagartig und radikal verschlechterten.
⇒ s. Ziff. 2.4.2 Sowjetisches Bessarabien, Zeit bis zur Umsiedlung (Juni –November 1940)

Man spürte, daß die Zeit des eigenständigen kulturellen Lebens der Volksgruppe vorbei war. Was den einzelnen zur Umsiedlung bewogen hat, wissen wir nicht. Sicher kamen dabei viele Aspekte zum Tragen, die in den nachfolgenden Zitaten enthalten sind:

  • Albert Rüb2) meint: „Es war weder der Einfluß nationalsozialistischen Gedankenguts noch die „Stimme des Blutes“, die uns bewogen, freiwillig im Zuge der Umsiedlung unsere Heimat zu verlassen. Es war vielmehr das Wissen um unmenschliche Vorgänge und Geschehnisse jenseits des Dnjestrs, die trotz der undurchlässigen Grenzen des sowjetischen Machtbereichs durchgesickert waren. Und es war die Angst davor, den Leiden und Gefahren der Deutschen in der Sowjetunion ausgesetzt zu sein, deren erschreckendes Ausmaß durch Flüchtlinge, vor allem nach dem unmittelbaren Anschluß Bessarabiens an Rumänien, bekanntgeworden war. Für die Bessarabiendeutschen galt deshalb, alles daranzusetzen, um dem Einzugsbereich der Roten Armee zu entkommen.“
  • Hugo Schreiber3): „Es kann keine Rede davon sein, daß die Umsiedlung auf Zwang beruhte. Sie vollzog sich allerdings unter dem Zwang der Verhältnisse.“
  • Ute Schmidt4): „Den Deutschen Bessarabiens genügten ihre eigenen Kenntnisse über das Sowjetregime jenseits des Dnjestr und die direkten Erfahrungen mit der Besatzungsmacht, um die sowjetischen Versprechungen im Sommer 1940 (mit denen sie zum Bleiben überredet werden sollten) als Propaganda zu durchschauen.“
  • Emil Seitz5): „Niemand zweifelte daran, daß auch eine unerbittliche und radikale Wandlung aller Arbeits- und Lebensformen bevorstand. Werden wir dann von unserer kulturellen Tradition, von Glaube und Volkstum, vom Privateigentum Abschied nehmen müssen? Obwohl uns die Sowjets zunächst noch ziemlich unbehelligt ließen, wurde nach und nach jedem klar, daß es mit unserer 125jährigen Eigenständigkeit zu Ende war.“

Nach ihrer Ankunft in Deutschland wurden sämtliche Umsiedler zunächst in die Lager der Volksdeutschen Mittelstelle eingewiesen. Zum Teil mußten die Menschen mehrmals die Lager wechseln. Krasna war in West- und Ostsachsen untergebracht, vor allem im Kreis Pirna. Den Lageraufenthalt nutzte man nicht nur, um die Unterbringung der Bessarabiendeutschen zu klären, sondern er diente auch der Überwachung durch die NSDAP und ihre Gliederungen.

Das Lagerleben erforderte von jedem Insassen erhebliche persönliche Einschränkungen. Die Qualität des Aufenthalts hing ganz entscheidend von dem Verhalten und dem Einsatz des Lagerpersonals und der vorhandenen Infrastruktur des Lagers ab. Es gab beträchtliche Unterschiede.

Die Bessarabiendeutschen mußten sich als sogenannte Volksdeutsche einem Einbürgerungsverfahren unterziehen, um Reichsdeutsche zu werden. Dieses Verfahren erfolgte während des Aufenthalts in den Umsiedlungslagern. Am Ende der „Durchschleusung“ –so nannte man den gesamten Vorgang- folgte die Einbürgerung mit Aushändigung einer persönlichen Einbürgerungsurkunde.

Der Aufenthalt in den Umsiedlungslagern im Kreis Pirna dauerte für die meisten Krasnaer bis zu 8 Monaten, bis etwa April oder August 1941.
⇒ Zu Einzelheiten des Lageraufenthalts s. Ziff. 8.2. In den Umsiedlungslagern

1)
Volksdeutsche vom linksseitigen Pruthufer, der Provinz Odessa, schwammen immer wieder auf das rechtsseitige Ufer nach Bessarabien herüber, ähnlich wie Deutsche zwischen 1945 und 1989 manchmal über die Elbe in die Bundesrepublik flüchteten.
2)
Rüb, Albert: Was wäre passiert, wenn…, in Erinnerungen an Bessarabien 60 Jahre nach der Umsiedlung, S. 148
3)
Schreiber, Hugo: Umbrüche im Leben der Bessarabiendeutschen, in Jahrbuch der Deutschen aus Bessarabien, HK 2005, S. 27
4)
Schmidt, Ute: Die Deutschen aus Bessarabien, S. 175
5)
Emil Seitz: Das Jahr unserer Umsiedlung. Erinnerungen und Betrachtungen. In: Heimatkalender der Bessarabiendeutschen 1964, S. 102
krasna/d-02-05-01.txt · Zuletzt geändert: 2019/06/17 16:17 von Otto Riehl Herausgeber