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krasna:f-04-08-11

4.8.1.1 Das Fürsorgekomitee

Wegen entstandener Unzulänglichkeiten und auch krimineller Machenschaften hob die Regierung die Vormundschaftskontore auf und schuf am 22. März 1818 als neue Verwaltungsbehörde das „Fürsorgekomitee für ausländische Ansiedler im Südlichen Rußland“, das mit weitgehenden Befugnissen ausgestattet, bis zu seiner Auflösung 1871 die oberste Verwaltungsbehörde für die Kolonien im Schwarzmeergebiet war. Es war nach dem Ukas vom 29. Dezember 1819 auch für die Kolonisten in Bessarabien zuständig.
Das Fürsorgekomitee bestand aus einem Präsidenten, auch Hauptfürsorger genannt, zwei Mitgliedern, und einem kleinen Stab von Mitarbeitern.
⇒ s. Ziff. 7.8 Funktionsträger in der Verwaltung auf staatlicher und gemeindlicher Ebene

In der Zeit von 1818 bis 1819 hatte das Komitee seinen Sitz in Cherson, von 1819 bis 1822 in Jekaterinoslav, von 1822 bis 1833 in Kischinew und von 1833 bis zu seiner Auflösung 1871 in Odessa.
Das Fürsorgekomitee wurde dem Innenminister direkt unterstellt (ab 1837 dem Ministerium der Reichsdomänen). Es war die oberste Verwaltungs- und Gerichtsbehörde für alle bisherigen und alle künftigen ausländischen Ansiedler (Landwirte und Dorfhandwerker), die sich in den Gouvernements Cherson, Jekaterinoslav, Taurien und im Gebiet Bessarabien auf Staatsland niederließen, unabhängig von ihrer Volkszugehörigkeit. Lediglich die Kriminalgerichtsbarkeit gehörte nicht in seinen Zuständigkeitsbereich; sie lag bei den ordentlichen Gerichten (s. Ziff. 4.9 Gerichtsbarkeit, öffentliche Ordnung und Sicherheit). Im Prinzip stand das Komitee gleichberechtigt neben den Gouverneuren und anderen hohen Verwaltungsstellen, die diesen nachgeordneten Behörden hatten ihm Amtshilfe zu leisten.

Das Fürsorgekomitee leitete die Ansiedlung der Einwanderer, nahm die Interessen und Rechte der Kolonisten wahr, sorgte dafür, daß die von der Regierung gewährten Privilegien zur Geltung kamen, aber auch die Verpflichtungen der Kolonisten gegenüber dem Staat erfüllt wurden. Die deutschen Kolonisten konnten sowohl schriftlich als auch mündlich mit der Behörde in deutscher Sprache verkehren.

Es war ein großer Segen für die Kolonien, daß sie dem Fürsorgekomitee über ein halbes Jahrhundert unterstellt waren. Zu einem großen Teil war das positive Wirken der Behörde den tüchtigen und engagierten Präsidenten zu danken. Die deutschen Kolonien konnten sich unter ihrer fürsorglichen Leitung frei entwickeln und ihre nationale Kultur weitgehend ungehindert pflegen. Es muß aber auch gesagt werden, daß die Behörde ein strenges Regiment führte. Bei Verstößen gegen seine Anordnungen und Vorschriften drohten den Kolonisten harte Strafen.

Für das Fürsorgekomitee wurden als nachgeordnete Verwaltungsstellen sogenannte Kontore geschaffen, für Bessarabien das Bessarabische Kontor für ausländische Ansiedler mit Sitz in Kauschani (dieses Kontor bestand faktisch bereits vor Errichtung des Fürsorgekomitees).
Im Jahre 1833 hob man die Kontore auf. Ihre Aufgaben gingen zum Teil auf das Fürsorgekomitee selbst, zum Teil auf Kolonialinspektoren über (s. unten „Kontrolle der Kolonien vor Ort“). Einerseits wurden durch diese Umorganisation die Kosten gesenkt, andererseits wurden die Verwaltungskosten gleichzeitig den Kolonisten aufgebürdet. Der Unterhalt des Komitees belief sich um diese Zeit auf 4857 Rubel Silber, wovon auf Tarutino 104 Rubel entfielen1). Man kann davon ausgehen, daß Krasna etwa in gleichem Umfang zur Kasse gebeten wurde.

Für die Kontrolle der Kolonien vor Ort bedienten sich die Kontore besonderer Aufseher, die die Tätigkeit der deutschen Ortsverwaltungen überwachten. Der Aufseher für Bessarabien hatte seinen Sitz in Tarutino. Nach Auflösung der Kontore 1833 setzte man anstelle der bisherigen Aufseher Inspektoren ein. Sie waren sozusagen das Bindeglied zwischen der Zentrale und den Kolonien. Der bessarabische Inspektor bekam seinen Sitz in Tarutino; seine Dienststelle hieß Inspektorat oder Beszirkskontor. Einige dieser Aufseher/Inspektoren führten wohl ein hartes Regiment. Dies kann man bei Wilhelm Mutschall, Geschichte der Gemeinde Tarutino von 1814 bis 1934, S. 20, 46-47, detailliert nachlesen.

Die bessarabischen Kolonien wurden in zwei Bezirken (Okrugi)2) mit je einem Bezirksamt zusammengefaßt. Der erste Bezirk hatte seinen Sitz in Wittenberg (Malojaroslawetz I) mit folgenden Kolonien: Wittenberg (Malojaroslawetz I), Alt-Posttal, Kulm, Tarutino, Krasna, Katzbach, Alt-Elft, Neu-Elft, Teplitz. Der zweite Bezirk umfaßte Klöstitz und die restlichen damals bestehenden Kolonien. Diese Bezirke waren zugleich die oberste Stufe der kommunalen Selbstverwaltung.

1)
Nach Mutschal, Wilhelm, Geschichte der Gemeinde Tarutino von 1814 bis 1934, S. 22
2)
Nach einigen Jahren kamen noch Sarata und Schabo als eigene Bezirke hinzu.
krasna/f-04-08-11.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/01 17:16 von Otto Riehl Herausgeber