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krasna:f-04-08-12

4.8.1.2 Die Selbstverwaltung

Die kommunale Selbstverwaltung der Kolonien hatte als obere Ebene das Bezirks- oder Gebietsamt für mehrere Kolonien, und darunter stand die Dorfverwaltung (das Schulzenamt) in der einzelnen Kolonie. Krasna gehörte bis 1871 zum Bezirk Wittenberg/Alt-Posttal. In Wittenberg wurde 1817 ein Bezirksamt eingerichtet und das dafür notwendige Gebäude (die Bezirkskanzlei) erbaut1). Als Wittenberg/Malojaroslawetz geteilt wurde, verlegte man das Amt 1834 in die zentraler gelegene neue Kolonie Malojaroslawetz II (Alt-Posttal).

Das Bezirksamt „Okruga“ (die Gebietsverwaltung) bestand aus einem Oberschulzen (Gebietsvorsteher) und zwei Amtsbeisitzern. Diese Amtspersonen wurden mit Stimmenmehrheit der Landgemeinden des Kolonistenbezirks gewählt; sie mußten Hofbesitzer sein. Die Wahlperiode betrug für den Oberschulzen drei, für die Beisitzer zwei Jahre. Damit nicht die gesamte Verwaltung auf einmal wechselte, waren die Wahlperioden der beiden Beisitzer versetzt, d. h. man wählte jedes Jahr nur einen Beisitzer.
Soweit ersichtlich, hat es im Bezirk Malojaroslawetz bis 1871 keinen Oberschulzen aus Krasna gegeben.
Ein sogenannter Gebietsschreiber unterstützte den Oberschulzen und seine beiden Beisitzer, er erledigte die laufenden Geschäfte. Er war der eigentliche Geschäftsführer in der Gebietskanzlei und war hauptamtlich tätig. Meistens hatte er noch Gehilfen. Er wurde von der vorgesetzten Behörde mit Zustimmung des Oberschulzen eingestellt.
Das Bezirksamt hatte die Aufgabe, die Dorfverwaltungen, die ihm unterstanden, zu beaufsichtigen und die Beschlüsse der einzelnen Gemeinden zu bestätigen. Es war daneben mit Sachen befaßt, die über den Bereich einer einzelnen Gemeinde hinausgingen. Dazu gehörte u. a. die Verwaltung der Waisen- und Brandkasse (s. Ziff. 6.4 Gemeinschaftsaufgaben/Selbsthilfeeinrichtungen).
Wichtige Beschlüsse des Bezirks und der Gemeinden mußten an das Fürsorgekomitee weitergeleitet werden.
In der Zuständigkeit des Bezirks/Gebietes lag in gewissem Umfang auch die Gerichtsbarkeit.
⇒ s. Ziff. 4.9 Gerichtsbarkeit, öffentliche Ordnung und Sicherheit).

Die Dorfebene

Das Dorf war die untere Stufe der Selbstverwaltung der bessarabischen Kolonien. Die Kolonien wählten einen Schulzen (Starosta), zwei Beisitzer und auf je zehn Höfe einen Zehntmann (Dessatnik), Wiederwahl war möglich. Diese Amtspersonen bildeten die Exekutive der Gemeinde, das Dorf- oder Schulzenamt, das dem Gebietsamt unterstellt war. Die Schulzen erhielten von ihren Gemeinden eine kleine Aufwandsentschädigung. Beisitzer und Zehntmänner erfüllten ihr Amt unentgeltlich.

In den Kolonistengesetzen waren die Aufgaben der Dorfverwaltung und die zu führenden Unterlagen im einzelnen beschrieben. Der Dorfverwaltung oblag insbesondere:

  • darüber zu wachen, daß die Kolonistengesetze und Verfügungen der vorgesetzten Behörde eingehalten wurden,
  • die polizeiliche Ordnung und Sicherheit sowie Reinlichkeit der Gemeinde,
  • Instandhaltung der Wege, Dämme, Brücken, Gemeindebauten, Schulen,
  • die Errichtung neuer Gemeindegebäude,
  • die Verwaltung von Getreidevorräten für Notfälle,
  • die Eintreibung der Staats- und Kreissteuern, der Brandsteuer sowie der Umlagen zur Besoldung des Pastors, der Lehrer, des Schreibers und der übrigen Gemeindebediensteten.

Die Verpflichtung, in den Kolonien standesamtliche Bücher über Eheschließungen, Geburten und Todesfälle zu führen, war den Pfarrern auferlegt, sie waren verpflichtet, halbjährlich Abschriften davon an das Fürsorgekomitee einzureichen.

Beschlußfassendes Organ war die Gemeindeversammlung, zu der jeder Hof einen Vertreter entsandte. Landlose waren nicht in der Gemeindeversammlung vertreten.
Die Gemeindeversammlung wurde vom Schulzen, der ihr Vorsitzender war, mehrmals im Jahr einberufen. Auf den Versammlungen wurden alle Anliegen und Probleme der Gemeinde erörtert. Soweit notwendig, wurden Beschlüsse gefaßt. Die Gemeindeversammlung wählte den Dorfschulzen und die Beisitzer. Sie beschloß auch über die Anstellung des Pfarrers, der Lehrer, des Schreibers, des Küsters und der Hirten. Sie alle wurden von der Gemeinde bezahlt.

Wichtige Beschlüsse (sogenannte Gemeindesprüche) unterschrieben die Anwesenden. Erhielt ein Beschluß die Unterschrift der Majorität der Abstimmungsberechtigten, so war er gültig, andernfalls nicht. Gemeindebeschlüsse von geringerer Bedeutung wurden durch Bestätigung des Gebietsamtes rechtskräftig. Solche von größerer Tragweite -dazu gehörten Jahresetat, öffentliche Bauvorhaben sowie Geldmittel und Besteuerung betreffende- bedurften der Bestätigung durch das Fürsorgekomitee.
Für Krasna liegen noch einige Gemeindebeschlüsse vor. Sie werden im Staatsarchiv von Odessa aufbewahrt.

In der Versammlung am Jahresende gab der Schulz Rechenschaft über seine Amtsführung. Eduard Ruscheinsky2) beschreibt solche Versammlungen, in denen es manchmal hoch her ging.

Die Wahlen auf kommunaler Ebene

Die Dorfschulzen und – beisitzer wurden von jeder Kolonie auf zwei Jahre gewählt. Wie für die Bezirksverwaltung waren die Wahlperioden der beiden Beisitzer versetzt, d. h. man wählte jedes Jahr nur einen Beisitzer.
Die Wahl zum Schulzen und Beisitzer war an bestimmte Bedingungen geknüpft. Wählbar waren nur Männer,

  • die volljährig waren und eine ganze Wirtschaft besaßen,
  • die mustergültig wirtschafteten und einen vorbildlichen Lebenswandel führten,
  • die gerecht und für das Amt fähig waren.

Zu Schulzen und Beisitzern sollten nur „nüchterne und unverdächtige“ Männer mittleren Alters gewählt werden. Die Gewählten waren respektierte Persönlichkeiten. Sie wurden allerdings auch nur gewählt, wenn sie schon einen guten Ruf hatten.
Die Wahl war öffentlich. In der dafür anberaumten Gemeindeversammlung wurden Kandidaten vorgeschlagen, über die dann die Anwesenden abstimmten. Dies geschah in einer Wahlliste (Beispiel s. Ziff. 10.1 Dokumente und Berichte aus Regierung und Verwaltung). Die Wahlbeteiligung war Pflicht, wer unentschuldigt fehlte wurde bestraft.

Die Wahlen der Schulzen, Beisitzer bedurften der Bestätigung durch das Fürsorgekomitee sowie der Vereidigung durch den Ortspfarrer nach einer vorgeschriebenen Eidesformel. Uns ist der Amtseid des Krasnaer Schulzen Matthias Müller vom 14. Februar 1848 erhalten.
⇒ Wortlaut s. Ziff. 10.1 Dokumente und Berichte aus Regierung und Verwaltung

Der Schulze und seine Beisitzer

Der Schulz war Vorsitzender der Gemeindeversammlung und der Leiter der Verwaltung. Er war dafür verantwortlich, daß die oben beschriebenen Aufgaben der Gemeindeverwaltung ordnungsgemäß erledigt wurden. Der Schulz sollte darauf achten, daß alle Dorfbewohner „ein nüchternes, ruhiges und arbeitsames Leben führten, wie es ihrem Stand zukommt.“ Unbotmäßigkeiten konnte der Dorfschulz rügen und mit einer Geldstrafe belegen. Seine Befugnisse waren relativ weitreichend.

Die Beisitzer kümmerten sich um die wirtschaftlichen Belange, wie Gemeindezuchtvieh, Hirtensachen, Feuerschutz, Wachdienste und anderes.

Der Schulz und seine Beisitzer hatten auch richterliche Befugnisse und Polizeigewalt. ⇒ s. Ziff. 4.9 Gerichtsbarkeit, öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Kolonisten durften nicht ohne Erlaubnis die Kolonie verlassen. Für die Fahrt ins nächste Dorf, nach Akkerman (Kreisstadt) oder Kischinew (Gouvernementsstadt) genügte ein Beurlaubungsschreiben vom Schulzenamt. Bei weiteren Reisen oder längerer Abwesenheit mußten die Kolonisten mit dem Beurlaubungsschreiben vom Schulzenamt einen Paß beim Kolonialinspektor beantragen. Der Paß wurde nur erteilt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt waren, u. a. der Antragsteller nicht mit Zahlungen im Rückstand und nicht in ein Gerichtsverfahren verwickelt war. Für einen Auslandspaß lagen die Hürden noch höher.

Der Gemeindeschreiber

Für die Kanzlei-Geschäftsführung war der Gemeindeschreiber (Selskiji Pisar) zuständig. Er wurde von der Gemeinde angestellt. Dem Schreiber, einem gesetzeskundigen Mann, oblag der gesamte Schriftverkehr der Gemeinde. Er konnte Lehrlinge und Angestellte beschäftigen.
Der Gemeindeschreiber nahm an den Gemeindeversammlungen teil und führte das Protokoll. Er war Buchhalter der Gemeindefinanzen, erstellte die Jahresrechnung und den Haushaltsplan für das kommende Jahr. Er führte das Fronbuch und andere vorgeschriebene Listen und Bücher. Die Aufgaben des Gemeindeschreibers in den Worten von Eduard Ruscheinsky:
„Die Arbeiten des Gemeindeschreibers bestanden in der russischen Zeit aus Aufgaben, die dem täglichen Leben der Kolonisten angepaßt waren. Er mußte die Vormundschaften der Waisen überwachen, die Einwohnerlisten führen, Ehekontrakte aufsetzen usw. …Die Gemeindeschreiber waren zum größten Teil in den Abendstunden stark in Anspruch genommen, denn dann waren die Dorfbewohner und der Oberschulz von der Feldarbeit frei“.

Der Dorfverwaltung standen Hilfskräfte zur Verfügung:

  • Der Schütz war der Gemeindediener. Er sorgte für die notwendigen Bekanntmachungen der Gemeindeverwaltung (Aufrufe zu Wahlen, Einladungen zur Gemeindeversammlung, Aufforderung zur Abgabenentrichtung, Einbestellung von Einzelpersonen in die Kanzlei etc.). Die Bekanntmachungen erledigte er durch Ausrufen (Ausschellen); er ging dabei mit einer Glocke durchs Dorf und verkündete in gewissen Abständen nach dem Schellen mit lauter Stimme die amtlichen Anweisungen und Mitteilungen. Daneben hatte er noch andere Amtspflichten, z. B. Reinigen und Heizen der Kanzleiräume, Putzen der Petroleumlampen etc.
    Zwei Namen von Schützen sind aus Zeitungsnotizen ersichtlich: Michael Seifert (Zeitungsmeldung vom 12. 09. 1928), Georg J. Paul (Zeitungsmeldung vom 29.12. 1930)
  • Die Dorfwache (s. Ziff. 4.9 Gerichtsbarkeit, öffentliche Ordnung und Sicherheit) Zur konkreten Situation der Verwaltung in Krasna vor 1871 schreibt E. Ruscheinsky3): „Es ist wahrscheinlich, daß in den ersten Jahren ihres Bestehens die Verwaltung sich bloß mündlich abgespielt hat. Erst vom Jahre 1824 wurden schriftliche Akten im Archiv vorgefunden… In diesem Zeitabschnitt der rein mündlichen Verwaltung wurde sie von keiner übergeordneten Obrigkeit kontrolliert. Die Verwaltung wurde bloß mündlich abgewickelt. Die Amtstätigkeit des Schulzen mit seinen zwei Beisitzern beruhte auf gegenseitigem Vertrauen und deutscher Redlichkeit. Keines der Gemeindemitglieder dachte im geringsten an eine Untreue ihrer gewählten Amtmänner. Von einer Kontrolle wußte man damals wohl nichts. Schriftliche Arbeiten waren zu jener Zeit so gut wie ausgeschlossen. Der Schulz führte bloß sein Notizbuch .
    Nach 1824 mehrten sich die Kanzleiarbeiten. Weil die Armut noch groß war, übertrugen die Gemeindemitglieder die schriftlichen Arbeiten einem schreibkundigen Bauern. Als die Gemeinde wohlhabender wurde, leistete sie sich einen Lehrer, dem sie auch den Schriftverkehr mit dem Fürsorgekomitee in Odessa übertrug. Mit den Jahren wuchs der Wohlstand der Gemeinde immer weiter und die Verwaltung nahm an Umfang zu. Der Lehrer konnte auch nicht mehr zwei Herren dienen…. Die Verwaltungsgeschäfte häuften sich so stark an, daß unsere Gemeinde gezwungen war, einen Mann anzustellen, den sie Schreiber nannten…. Der Schreiber hatte gewöhnlich seine Wohnung bei der Kanzlei…. Der Schriftverkehr wurde bis 1871 in deutscher Sprache geführt.“

⇒ Die Krasnaer Schulzen sind - soweit bekannt - unter Ziff. 7.8 Funktionsträger in der Verwaltung auf staatlicher und gemeindlicher Ebene aufgeführt.

⇒ Zum Gebäude der Gemeindeverwaltung (Kanzlei) s. Ziff. 3.1 Das Dorf Krasna, seine Lage und sein Aussehen

1)
Gemeindebericht 1848 von Wittenberg
2)
Eduard Ruscheinsky, Kulturbilder aus unserer alten Heimat Krasna, Bessarabien. Eine Dokumentation über die Kulturleistungen unserer Väter, abgedruckt in Heimatbuch 25 Jahre nach der Umsiedlung Herbst 1965 Herausgegeben von Alois Leinz im Auftrage der Bessarabiendeutschen Landsmannschaft Rheinland-Pfalz e.V.
3)
Eduard Ruscheinsky: Die Gemeindeverwaltung von Krasna/Bessarabien, (Heimatbuch 25 Jahre nach der Umsiedlung 1965
krasna/f-04-08-12.txt · Zuletzt geändert: 2019/04/01 18:14 von Otto Riehl Herausgeber