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krasna:j-07-01-00

7.1 Die Krasnaer Kolonisten und ihr Verhältnis zu anderen

Charaktermerkmale der Krasnaer

Die harten Anforderungen des Kolonistendaseins in den Anfangsjahren der Kolonien formte ein bodenständiges hartes Geschlecht. Nur durch Fleiß, Sparsamkeit und Ausdauer konnten die Menschen in Krasna bestehen. In einer älteren Charakterisierung ist zu lesen: „Die Entwicklung war in Krasna besonders schwierig, so daß auch eine starke Eigenwilligkeit und die Eigenständigkeit der Gemeinde daraus zu erklären sind.“

Die weite Steppenlandschaft hat den Charakter der Krasnaer geprägt. Die Steppe machte sie bedächtig. Im allgemeinen hat die Steppe arbeitsame und selbständige Menschen hervorgebracht. Lange Jahre haben Dorfgemeinschaften wie Krasna jeden aus ihrer Mitte ausgeschlossen, der nicht bereit war, hart zu arbeiten.

An allem Althergebrachten hielt der Krasnaer Bauer eisern fest, jeder Neuerung gegenüber verhielt er sich kritisch, ja oft entschieden ablehnend. Seine Lebensweise war praktisch und einfach. Ein zäher Lebenswille, verbunden mit Schaffensdrang und Tüchtigkeit, und vor allem der Glaube, waren die Quellen seiner Kraft.

Es gab auch eine gewisse fatalistische Grundstimmung, indem der Kolonist dazu neigte, hereinbrechende Ereignisse als etwas Unabänderliches und Unwiderrufliches hinzunehmen. Als Beispiele kann man die großen Veränderungen sehen (Wegfall der Privilegien 1871 und Russifizierungsbestrebungen 1880-1918 und die rumänische Minderheitsunterdrückung nach 1918).

Das hervorstechendste Merkmal der Bessarabiendeutschen im allgemeinen und der Krasnaer im besonderen war ihr Festhalten am Boden. Die Erringung von Land hatte für den Krasnaer Bauern bis zur Umsiedlung höchste Priorität. Noch Pfarrer Schumacher klagte 1936: „Alles was zählt ist Land.“

Die Krasnaer hatten im allgemeinen einen an Arbeitswut grenzenden Fleiß. Feste Arbeitszeiten gab es weder in der Landwirtschaft noch im Handwerk. Besonders während der Ernte und der Dreschzeit dauerte die Nachruhe kaum mehr als vier Stunden.

Eine positive Eigenschaft war die Gastfreundschaft der bessarabischen Deutschen. Davon wird immer wieder anerkennend berichtet. Jeder Fremde, besonders aber der „Deutschländer“ wurde stets mit offenen Armen empfangen und gut bewirtet. Die Krasnaer waren in ihrer Gastfreundschaft allerdings nicht überschäumend oder besonders mitteilsam.

Pastor Kern stellt fest1): „ Wer Krasna besuchte, wurde bald von herzlicher Gastfreundschaft umfangen, wehe dem aber, der als Friedensstörer durch die Tore und Gassen ziehen wollte! Das Wort „Krasna“ jagte allen Dieben und Mördern Schrecken ein, die auf dem Wege in das Untersuchungsgefängnis Akkerman in Krasna halt machten. Kein deutscher Kolonist…hat so harte Prügel eingesteckt, wie Diebe und des Mordes Beschuldigte, die in Krasna eine Ruhepause haben sollten.“

Ein weiteres Urteil über die Krasnaer liegt in Gedichtform vor2):
„Die Insel deutscher Katholiken
Gemeinde Krasna kommt in Sicht;
Die Ordnung, die wir hier erblicken,
zu Gunsten der Bewohner spricht.
Fest Regiment war hier geboten,
Streng untersagt der Hang nach Sucht.
Das Handwerk fand hier goldnen Boden
Und heimisch war die Pferdezucht.“

Kinderreichtum war ebenfalls ein Charakteristikum der Krasnaer. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie in den deutschen Kolonien lag vor dem Ersten Weltkrieg bei 7-8.

Der hohe Rang der Religion und der Kirche bei den Krasnaern ist schon an anderer Stelle hervorgehoben worden. Da diese identitätsstiftende Merkmale in der Fremde waren, gab es kaum Mischehen mit sogenannten „Fremdstämmigen“. Wo dies im Einzelfall vorkam, wurde der/die Betroffene der allgemeinen Verachtung preisgegeben. Pfarrer Schumacher notiert in seinem Jahresbericht 1938: „Das Dorf blieb rein katholisch, basierend auf strenger Tradition, die ihre Vor- und Nachteile hat. Die Tradition ist augenfällig in der Kraft der Bauernkultur, hat aber ihre Nachteile insofern, als Heiraten mit anderen Volksgruppenmitgliedern nicht gutgeheißen werden. Wenn ein rumänischer Steuerbeamter versucht, ein katholisches Mädchen zu heiraten oder ein deutscher Lehrer ein russisches Mädchen, werden die Ehen nicht gestattet.“

Trotz aller Russifizierungs- und Rumänisierungsbemühungen haben die Krasnaer Kolonisten ihre Sprache, ihre Religion, ihre Sitten und Gebräuche, ihre deutsche Art bewahrt bis zur Umsiedlung. Sie waren dennoch loyale Untertanen ihres jeweiligen Landesherrn.

Bedingt durch ihre religiöse Sonderrolle unter lauter sie umgebenden evangelisch-lutherischen Dörfern erlitten die Krasnaer eine Isolierung. Das führte zu einer gewissen Eingrenzung auf das eigene Dorf, während den anderen Kolonien ein weiterer Rahmen offenstand. Dies hat sie im Laufe der Zeit in ihrer kulturellen und auch wirtschaftlichen Entwicklung gehemmt. Sie waren jedenfalls nicht die Voranschreitenden, wenn es um Neuerungen ging.

Die glaubensmäßige Isolierung war auch der Grund, warum Krasnaer Kinder recht selten eine weiterführende Schule besuchten. Zu den „Kaschuben“ im nahegelegenen Tarutino oder nach Sarata mochte man sie nicht schicken, und die nächsten katholischen Schulen befanden sich im Raum Odessa.

Pfarrer Schumacher urteilte über den Krasnaer Bauern:

  • Es sind oft starke Persönlichkeiten, von Ebenmaß geprägt und selbstbewußt.
  • Die Gemeinschaftsideen sind unterentwickelt. Es gibt keine Versammlungsräume, keine Restaurants oder Gaststätten. Der Bauer produziert seinen eigenen Wein, den er mit Freunden und der Familie genießt. Sein Hof wird von aggressiven Hunden bewacht. Man muß einen großen Knüppel mit sich führen, um weiterzukommen.
    Als ich versuchte, die Unterstützung eines Lehrers zu gewinnen, um eine Gemeindekollekte zu organisieren, sah er mich ungläubig an und meinte, wir sollten uns hier um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern, es sei denn, wir wollten unsere Köpfe eingeschlagen kriegen.
    Es ist sehr schwer, den Armen zu dienen. Wo immer ich vorsprach und um Winterhilfe für die Armen bat, wurde mir gesagt, die Unterstützung von faulen Leuten sei eine Verschwendung von Geld.
  • Hier sorgt und sammelt jeder für sich selbst so gut er kann. Die freiwillige Montagsspende in der Kirche ist bescheiden. Ein Bauer mag in einer Woche Getreide im Wert von 30.000 Lei verkaufen, aber er wird nicht daran denken, freiwillig davon etwas bei der Montagsopferung zu spenden. Wenn eine Notwendigkeit besteht und die Gemeinde Beiträge für ein Projekt beschließt, bezahlen sie bereitwillig den ihnen zugemessenen Anteil, aber niemals einen Lei darüber hinaus.
  • Krasna ist gesegnet mit tief gläubigen Menschen, die bewahrend an ihrem Glauben und nationalen Traditionen festhalten. Wer an sie herankommen will, muß sie respektieren, muß sanft sein und versuchen zu verstehen, wie die Leute denken und fühlen.
  • Die Krasnaer sind anständige Leute, aber sie halten fanatisch an ihren alten Bräuchen und Traditionen fest. Sie werden unbegründetem Druck nicht nachgeben, eher wird das Widerstand hervorrufen. Ein unbekannter Autor meint3): „Das volkstümlich beharrende Element der Krasnaer ist sicher noch verstärkt durch die Verbindung mit den polnischen Familien, die sich dem Treck der Krasnaer 1814 angeschlossen hatten…“

Ein besonderes Wort soll an dieser Stelle noch zu der Krasnaer Kolonistenfrau gesagt werden. Sie hatte einen ganz entscheidenden Anteil an der Entwicklung und Erhaltung der eigenen Kultur und auch am wirtschaftlichen Fortkommen. Lassen wir Wilhelm Mutschal ihre Leistung beschreiben, der den gößten Teil seines Lebens in Krasnas Nachbardorf Tarutino zugebracht hat: „ …Nicht auf dem öffentlichen Markte des Lebens zu wirken und zu schaffen, ist sie berufen; ‚drinnen waltet’ sie als Hausfrau und Erzieherin der Kinder, als Pflegerin guter und frommer Sitten und Wächterin der häuslichen Ordnung. Groß sind ihre Aufgaben, schwer und verantwortungsvoll ist ihr Beruf. Was sie im häuslichen Kreise innerhalb ihrer vier Wände tut und schafft, entzieht sich meistens den Blicken der Außenwelt und wird in der Regel vom starken Geschlecht zu wenig angeschlagen.“

Die Sprache der Krasnaer

Die deutsche Muttersprache war ein ganz entscheidendes Element für Kultur, Sitten und Gebräuche der Kolonisten. Sie prägte das gesamte Leben der Menschen, angefangen von der Schule über Kirche, Familie, Geselligkeit bis hin zur Gemeindeverwaltung. Die deutschen Kolonien waren regelrechte deutsche Sprachinseln in Südrußland. Russisch war zunächst für die Kolonisten nicht wichtig. Deutsch war ihre Umgangs-, Verwaltungs- und Gerichtssprache. Später blieb die Umgangssprache deutsch, die Amtssprache wurde russisch.

Da die Kolonisten von der sprachlichen Entwicklung im Mutterland abgeschnitten waren, „konservierten“ die Bessarabiendeutschen die Sprache wie sie zum Zeitpunkt ihrer ersten Auswanderung nach Polen (Ende des 18. Jahrhunderts) gesprochen worden war. In den Siedlungen der deutschen Kolonisten wurden je nach Herkunftsland unterschiedliche Dialekte und Mundarten gesprochen. In Krasna sprach man eine dem Pfälzischen ähnliche Mundart (s. Ziff. 7.2 Die Krasnaer Mundart). Die Krasnaer Mundart ist weitgehend unverändert geblieben, weil Krasna als lange Zeit einzige katholische Kolonie unter sonst nur evangelisch-lutherischen ein recht abgeschottetes Dasein führte. Zwischen allen anderen Kolonien war der Austausch durch Heirat etc. größer und damit auch die gegenseitige Beeinflussung der Mundart.
Man blieb immer der deutschen Muttersprache treu, aber in den Wortschatz schlichen sich nach und nach zahlreiche Fremdwörter ein, die den Sprachen des dort lebenden Völkergemischs entlehnt waren.
⇒ S. Krasnaer Wörterbuch unter Ziff. 7.2 Die Krasnaer Mundart

Nach Aufhebung der Sonderrechte der Kolonisten im Jahre 1871 und unter Zar Alexander III., der die These „Ein Zar – ein Gesetz – eine Sprache“ vertrat, begann die schrittweise Russifizierung der Sprache in der Öffentlichkeit. Von nun an war Russisch in allen Lebensbereichen die vorgeschriebene Sprache. Die Krasnaer standen der Entwicklung sehr differenziert gegenüber. Die Fortschrittlichen lernten Russisch, die anderen lehnten dies ab.

Die Beherrschung der russischen Sprache wurde für die deutschen Kolonisten aber immer wichtiger und machte Fortschritte bei den Deutschen. Die Kinder lernten sie in der Schule, weil sie sie in der Stadt, auf dem Markt und im Verkehr mit den Behörden brauchten. Was sie zu Hause an Deutsch sprachen, war Dialekt, von dem in der Schule gelernten Deutsch verschieden. Letzteres reichte nicht aus zur Kommunikation mit Außenstehenden in anderer Umgebung. Also sprachen sie Russisch. Diese Wirkung nahm von Jahr zu Jahr zu. Wer im Dorfe blieb, litt weniger darunter. Denn im Verkehr untereinander, in Kirche und Gemeindehaus wurde immer noch Deutsch gesprochen. Der festeste Rückhalt war immer noch die Frau und Mutter im Hause, die mit den Ihren Deutsch redete.

Nach dem Übergang Bessarabiens an Rumänien im Jahre 1918 mußte Rumänisch als neue Staatssprache erlernt werden. Die Rumänen setzten die Deutschen massiv unter Druck. Hüterin des Deutschtums und der deutschen Sprache war bis zur Umsiedlung die katholische Kirche. Insbesondere den ab Mitte der 30er Jahre in Krasna und Emmental eingesetzten Geistlichen aus Deutschland (Schumacher und Kampe) kommt hieran ein hohes Verdienst zu.

Dörfliches Zusammenleben

Über das Zusammenleben in Krasna ist schriftlich recht wenig überliefert. Es gab keine Lokalpresse. Allerdings berichteten ab etwa 1910 bis Mitte der 30er Jahre Reporter in unregelmäßigen Abständen an deutschsprachige Zeitungen in den USA über das Leben in Krasna. Diese Berichte, die zum großen Teil noch erhalten sind, geben Einblicke in die Welt Krasnas zur damaligen Zeit. Sie zeigen sowohl die positiven als auch die negativen Seiten des dörflichen Zusammenlebens. Sie berichten über Hochzeiten, Sterbefälle, gute und schlechte Ernteergebnisse, gute Taten von einzelnen aber auch über Kriminalfälle, bösen Schabernack, Zwietracht unter den Bewohnern. Man kann daraus ableiten, daß Krasna ein Dorf wie jedes andere war.

Einerseits haben das gemeinsame Schicksal und der gemeinsame Kampf gegen die Widrigkeiten des Steppenlebens die Dorfbevölkerung zusammengeschweißt. Andererseits zeigten sich auch eine gewisse Rivalität untereinander, ein gegenseitiges Anspornen und teilweise auch ein gegenseitiges Befehden. Mischte sich aber jemand von außen, sei es aus anderen Kolonien oder anderen Volksgruppen ein, dann war man sich im Dorf wieder schnell einig und wendete sich gemeinsam gegen den „Fremden“.

Es gab ein dicht geknüpftes Netz sozialer Bindungen. Die Familie war dabei die Basis, auf der sich weiteres aufbaute. Dazu zählte der starke Verbund zwischen den Generationen.
Es soll hier nicht behauptet werden, daß im Dorf alle untereinander Freunde waren. Und es war auch nicht alles gut oder besser als heute. Man kann aber sagen, daß insgesamt die Dorfgemeinschaft einen sehr hohen Stellenwert besaß. Sie war das Fundament auf dem die gegenseitige Unterstützung in Zeiten der Not ruhte.
⇒ S. Ziff. 6.4 Gemeinschaftsaufgaben/ Selbsthilfeeinrichtungen

Es gab wohl keine großen Klassenunterschiede. Wohlhabende Bauern und kleine Bauern lebten als Nachbarn nebeneinander und miteinander. Allerdings: wenn’s ans Heiraten ging, dann „sollte die Größe der Strohschober schon zueinander passen“.

Den Armen gab man von seinen Lebensmitteln ab. Für Landlose hatte man am Dorfende eine Siedlung errichtet. Andererseits war man auch nicht gerade übermäßig sozial eingestellt (s. oben „Ihr Charakter“).

Man hat in Krasna nicht nur gemeinsam und hart gearbeitet. Man wußte auch zu feiern, soweit es der enge Arbeitsrhythmus zuließ. Das waren kirchliche Feiertage, Hochzeiten und andere Familienfeiern.
Das dörfliche Leben war im großen und ganzen geprägt durch die jahreszeitlich bedingten Arbeitsabläufe in der Landwirtschaft, durch kirchliche Feiertage, durch Sitten und Gebräuche.
⇒ s. Ziff. 5.3 Kultur, Sitten und Gebräuche

Die Krasnaer waren wohl nicht zimperlich, einige waren schnell mit einem Knüppel bei der Hand. Die Dakota Rundschau berichtet am 31. 07. 1931 von einem Beispiel: „Wiederum trug sich hier ein Fall zu, darüber es einem übel wird zu schrieben. Johannes P. fuhr zu Sonnenuntergang vom Felde heim. Sein Nachbar Chrisostemus stand am Hoftor und wartete auf ihn. Er schlug mit dem Knüppel auf ihn los, daß der Johannes besinnungslos vom Wagen fiel, blutig und schwarz hat er ihn geschlagen. Nichts Schlimmeres als Uneinigkeit unter den Nachbarn, daran nur die Advokaten ihren Nutzen haben.“

Die Jugend verbrachte ihre Zeit abends auf der Dorfstraße. Es wurde „Blosbalke“ gespielt; es wurde gespielt, getanzt, auch Wein getrunken; man trieb Schabernack und machte Streiche. So manches wurde dabei angestellt, was heute mit Sicherheit ein Gerichtsverfahren nach sich ziehen würde. Es blieb nicht aus, daß ab und zu die Fäuste flogen, wenn der Wein zu Kopf stieg oder ein Mädchen mehrere Verehrer hatte. Die Dakota Rundschau berichtet am 28. 11. 1930 aus Krasna: „Wenn der Hund nichts zu tun hat, so fängt er nach seinem Schwanz, um seine Langeweile zu vertreiben. Und wenn die Burschen sonst keine nutzbringende Beschäftigung haben, so probieren sie gegenseitig ihre Stärke, wenn sie zusammenkommen. So war’s letzten Sonnabend: die Burschen schlugen sich aus Spaß, aus dem ein Ernst wurde, und als Resultat mußte der Sohn des Herrn Joseph Gedak mit zerschlagenem Kopf ins Hospital gebracht werden.“

Raufereien gab es auch mit den Jungen aus den Nachbardörfern, besonders anläßlich der Musterung für den Militärdienst. Es gibt eine recht amüsante Geschichte über eine solche Keilerei zwischen Rekruten der bessarabischen Dörfer unter kräftiger Beteiligung der Krasnaer4).
Die Dakota Rundschau berichtet am 27. 03. 1931 aus Krasna: „Am 11. Februar mußten die Rekruten einrücken, deren Zahl in Krasna 28 beträgt. Dieselben zeigten eine Roheit; sie schlugen den Sohn des verstorbenen Klemens Ihli, daß er nach Tarutino ins Spital gebracht werden mußte.“

Zum Thema Jugend äußert sich der Krasnaer Reporter der Dakota Rundschau wiederholt kritisch, so am 03. 07. 1931: „…Statt einer Bibliothek im Dorf haben wir eine himmelgroße Weinschenke, und statt eines Musikorchesters haben wir in den Abenden ein wildes Gejohle auf der Straße. Zur Organisierung einer Vereinsmusik fehlt das Geld, es findet aber doch mancher Vater für seinen Sohn 100 Lei, damit er mit seinen Kameraden zusammen eine Ziehharmonika kaufen kann, damit an Sonntagen hinter den Gärten eine eigentümliche Musik gemacht wird….“

Der Artikel spielt auf die die traditionellen Jahrgangskameradschaften der Dorfjugend an, die es in Krasna ebenso wie in den anderen Dörfern gab. Dies waren zwar im formellen Sinne keine Vereine, aber in der Praxis hatten sie eine vereinsähnliche Funktion. Sie gab es schon lange, es ist nicht auszumachen, wann sie zuerst aufkamen. Sie beherrschten das Straßenbild der deutschen Dörfer über ein Jahrhundert und spielten für die Jugend eine bedeutende Rolle. Schon in der Schule fanden sich die Jungen und Mädchen nach Jahrgängen zusammen, auch nach Unterdorf und Oberdorf. Jede Kameradschaft hatte irgendwo im Dorf ihren Treffpunkt, wo sie sich im Sommer in der kärglichen Freizeit zum Schwatzen, zu Tanz, Spiel und Vergnügen traf, und leider war oft auch Alkohol mit im Spiel. Die Ziehharmonika war bei diesen Zusammenkünften ein unerläßlicher Begleiter. Mit Abschluß der Musterung für den Militärdienst löste sich die jeweilige Jahrgangskameradschaft auf.

Abb. 92: Eine Kameradschaftsgruppe im Jahre 1935

Die Jugend war offensichtlich ein sorgenbereitendes Problem im Krasna der 30er Jahre. Der Bischof von Jassy hatte Pfarrer Schumacher mit auf den Weg gegeben: „Halten Sie ein besonderes Augenmerk auf die Jugendlichen des Dorfes. Man sagt, sie seien eine rauhe Bande. Bringen Sie sie zurück und zeigen Sie ihnen das Licht…”

Pfarrer Schumacher bemerkte später: „Die Arbeit mit der deutschen Jugend war mühselig bevor das Heim bestand. Wir versammelten uns in staubigen Mühlenhallen usw. Mit dem neuen Heim haben wir die Möglichkeit für ordentliche Debatten, Gebete, Theaterstücke, festliche Ereignisse usw.“

Das Verhältnis zu anderen deutschen Kolonien

Zwischen den Kolonien gab es einen Austausch, wenn auch unterschiedliche Religionszugehörigkeit eine erhebliche Barriere darstellte.
Man trieb Handel miteinander, man beschäftigte Leute aus anderen Dörfern, aber wenn es ans Heiraten ging, dann blieb man unter sich. Es gab so gut wie keine Mischehen mit Lutheranern.
Einen begabten Schüler schickte man statt auf das Gymnasium im 10 km entfernten evangelischen Tarutino lieber in eine katholische Schule nach Karlsruhe bei Odessa, obwohl es 100 km weit weg war (s. auch Ziff. 5.2 Die Schule in Krasna).

Diese Haltung war umgekehrt auch bei den Lutheranern zu finden. Sie hatten aber einen größeren Austausch mit den Glaubensbrüdern, die in allen anderen Kolonien außer Krasna zu finden waren. Da sie bei weitem die größere Gruppe waren, und ihre Dörfer Krasna umschlossen, führte das zu einer gewissen Isolation Krasnas. In praktischen Dingen half man sich, zum Beispiel bei großen Bränden durch Beteiligung an Löscharbeiten.

In den Anfangsjahren gab es auch einen Austausch von Kolonisten zwischen den Kolonien, z. B. sind nach Krasna aus umliegenden Kolonien mehrere Familien zugezogen.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Verhältnis der Krasnaer zu ihren protestantischen Nachbarorten entspannter; man erkannte, daß man in der Auseinadersetzung mit der rumänischen Regierung, in der man für die gleichen Dinge stritt, als deutsche Volksgruppe zusammenstehen mußte. Dies galt für das Verhältnis zu allen Nachbarkolonien Krasnas, ausgenommen Katzbach. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Orten blieb gespannt, es gab kaum Verbindungen herüber und hinüber. Es wird vermutet, daß die Animositäten noch aus der Gründungszeit der Kolonien herrührten.
⇒ s. Ziff. 7.4 Der Wegzug evangelischer Siedler nach Katzbach

Ihr Verhältnis zu anderen Volksgruppen

Bessarabien war von einer Vielzahl von Nationalitäten bewohnt. Unter Rumänen, Russen, Ukrainern, Juden, Bulgaren, Gagausen, Zigeunern waren die Deutschen mit einem Bevölkerungsanteil von knapp 3 % eine kleine Minderheit. Gegenüber den anderen Bevölkerungsgruppen hatten sie jedoch wegen ihrer typisch deutschen Tugenden (Fleiß, Ordentlichkeit, Sparsamkeit) einen wirtschaftlichen Vorsprung.

Das Verhältnis zwischen Deutschen und anderen Nationalitäten war mehr durch ein Nebeneinander als durch ein Miteinander gekennzeichnet. Die russische Sprache wurde nur von einem Teil der Bessarabiendeutschen beherrscht.

Die deutschen Kolonisten bewohnten überwiegend eigene Dörfer, ebenso die anderen Völkerschaften in Bessarabien. In ihren Gemeinden waren die Volksgruppen unter sich. Nur auf den Märkten und in den Städten verkehrten sie miteinander. Als Umgangssprache diente dort bis 1918 Russisch, nach 1918 neben dem Russischen das Rumänische.
Die Achtung für die Verläßlichkeit der Deutschen drückte sich darin aus, daß Geschäfte mit einem „deutschen Wort“ abgeschlossen wurden, d. h. durch Handschlag verbunden mit dem Ausspruch „ein deutsches Wort“. Zu ihren russischen oder ukrainischen Nachbarn sowie anderen Volksgruppen unterhielten die Deutschen, auch die in Krasna nur minimale, meist wirtschaftliche Kontakte. Im Dorf selbst lebten nur wenige sogenannte Fremdstämmige, 1939 waren es knapp 30.
Die russischen Mitbürger waren den Deutschen im allgemeinen freundlich gesonnen, jedenfalls war vom gemeinen russischen Mann kaum Haß oder dergleichen zu spüren. Die einfachen Russen, Bulgaren und Rumänen schauten zu den Deutschen empor und betrachteten sie als ihre Lehrmeister.
⇒ s. aber Ziff. 2.3 Die Veränderungen ab der zweiten Hälfte des 19 . Jh. (etwa 1860-1918)

Russen waren vor allem in der bessarabischen Verwaltung und der Justiz tätig. Russen verdingten sich auch gerne als Knechte und Mägde bei den Deutschen, weil sie wußten, daß sie gut zu essen bekamen und auch die Gelegenheit für Pausen erhielten; sie bekamen ihren Lohn pünktlich.

Vertrauen hatten die Deutschen zu den Ukrainern, die sie bei Erntearbeiten oft beschäftigten. Von den Leistungen der Bulgaren sprachen sie mit Anerkennung. Bulgaren, als gute Gemüsegärtner bekannt, pachteten für ihren Zweck Krautgärten auf der Krasnaer Gemarkung. Bulgaren betrieben darüber hinaus häufig Handwerke, die es in Krasna nicht gab: Maurer, Dachdecker, Steinmetz, Gerber, Töpfer.

Rumänen / Moldauer machten die größte Bevölkerungsgruppe in Bessarabien aus. Sie waren die besten Schafhirten.

Kurz: die Deutschen lebten mit dem guten Dutzend dort lebenden anderen Völkerschaften friedlich zusammen, sie handelten mit einander, lernten von einander, nahmen einander an und ließen einander gelten, einen jeden in seiner Art. Aber als Erben und Ehepartner akzeptierten die Krasnaer im allgemeinen nur Deutsche ihrer Konfession. Das war mit ein Grund, warum die Kolonisten ihre deutschen Sitten und Gebräuche, ihre Sprache und religiösen Gewohnheiten über lange Jahre weitgehend konservieren konnten.

Ihr Verhältnis zu den Juden

In Bessarabien gab es keine jüdischen Kolonien. Juden traten insbesondere als Händler auf. Der Schnapsausschank befand sich von wenigen Ausnahmen abgesehen in jüdischer Hand. Anfänglich war es nur den jüdischen Schankpächtern gestattet, in den Kolonien dauerhaft zu wohnen. Die Juden zogen als Kleinhändler von Dorf zu Dorf und kauften den Bauern Eier, andere Lebensmittel, Leder und Federn ab. Die Juden fungierten in Bessarabien auch als private Kreditgeber. Banken gab es erst im 20. Jahrhundert.

Die Krasnaer trieben mit den Juden eifrig Handel (Kauf und Verkauf von Waren aller Art). Allerdings fühlten sie sich dabei manchmal übervorteilt. Das war unter anderem ein Grund für das Entstehen von Genossenschaften in den deutschen Dörfern. Ein direkter Antisemitismus war aber nicht zu entdecken, wenn es auch gewisse Ressentiments gegen Juden gab. Noch 1940 beklagten Himmlers Umsiedlungskommissare die „unverständlich geringe Abneigung gegen das Judentum“ bei den Bessarabiendeutschen.

Ihr Verhältnis zum russischen und rumänischen Staat

Die Deutschen betrachteten sich als loyale Untertanen des russischen Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie ja besaßen. Man kann das auch daran ablesen, daß die meisten Kolonisten im Land blieben, als ihnen unter dem Reformer Alexander II. (1855-1881) im Jahre 1871 ihre Vorrechte zum Teil genommen wurden. Die Bessarabiendeutschen waren zarentreu, und sie waren zuverlässige, gute Steuerzahler.
Sie waren später auch gegenüber dem rumänischen Staat loyal, obwohl er ihnen dies nicht leicht machte.

Ihr Verhältnis zu Deutschland

Die Kolonisten hatten bis zum 1. Weltkrieg praktisch keinen Kontakt zu Deutschland. Lediglich Industrieerzeugnisse wurden aus Deutschland bezogen. Abgesehen von vielleicht Priestern reiste so gut wie niemand dorthin. Verwandtschaftliche Beziehungen waren abgebrochen. Die in Deutschland verbliebenen Angehörigen wußten in der folgenden Generation kaum noch etwas von ihren ausgewanderten Verwandten.
Umgekehrt wußte in Deutschland nur eine Minderheit von der Existenz deutscher Siedlungen im Schwarzmeerraum. Darüber geben Zeitzeugen Auskunft (Berichte von Soldaten etc). Vor dem Ersten Weltkrieg interessierte man sich in Deutschland nur wenig für die Rußlanddeutschen. Für die Regierung waren sie kein Thema.

Der im ersten Weltkrieg mit voller Schärfe hereinbrechende Haß der Russen gegen die Deutschen löste jedoch in den deutschen Siedlungsgebieten ein Gefühl der Verbundenheit mit und der nationalen Zugehörigkeit zu Deutschland aus, das noch verstärkt wurde als 1917/1918 deutsche Truppen in Bessarabien erschienen. Mit dem Ende des Krieges, das die radikale Herauslösung aus den bisherigen, zum Teil auch gefühlsmäßig bejahten staatlichen Bindungen und die Einfügung in das neue und zunächst fremde Staatswesen Rumänien mit sich brachte, entstand eine Zäsur. Das sprachlich-kulturelle Deutschbewußtsein wurde für die Bessarabiendeutschen immer stärker zur Grundlage ihres Nationalgefühls. Die Fäden zu anderen deutschen Volksgruppen und nach Deutschland wurden neu geknüpft.

Obwohl die bäuerliche, kirchlich geprägte Bevölkerung politisch desinteressiert war, fand dann in den 30er Jahren in deutschen Dörfern eine kulturelle Hinwendung zu Deutschland statt. Dies war nicht zuletzt durch die forcierten Rumänisierungsmaßnahmen bedingt.
Die meisten Krasnaer hatten jetzt ein sehr positives Bild von Deutschland, dem „Mutterland“, wie sie oft sagten. Diese Erfahrung machte im Sommer 1932 auch der junge deutsche Priester Walter Kampe, der für einige Wochen in Bessarabien weilte5): „…Sie brachten uns mit Pferdewagen am nächsten Tag zu ihrer katholischen Nachbargemeinde Krasna. Der Einzug in Krasna glich einem Triumphzug. Es hatte sich bereits herumgesprochen, daß ‚Deitschlender’ kommen. Seit einem Jahrhundert hatte es keinen Kontakt mehr mit dem Reich gegeben. Wir wurden wie Götter angestaunt und verehrt. Nachdem wir auf einzelne Bauernhöfe verteilt worden waren, versammelte sich das ganze Volk vor der Kirche. Wir sangen unsere Lieder, erzählten von Deutschland…“

Ihr Verhältnis zur Politik

Die religiöse Abschottung zwischen den Angehörigen der unterschiedlichen Religionen hatte zur Folge, daß sich im 19. Jahrhundert kaum ein übergreifendes Gruppenbewußtsein der Deutschen Rußlands herausbildete. Man begegnete sich in erster Linie als Katholiken und Protestanten, dann erst als Deutsche.
Die Deutschen in Bessarabien bildeten bis 1918 einen Teil der rußlanddeutschen Bevölkerungsgruppe im Raum Odessa, mit der sie hundert Jahre lang in allen Bereichen ihres Lebens eng verflochten waren. Deshalb konnte man bis dahin auch nicht von einer eigenständigen bessarabiendeutschen Volksgruppe sprechen.

Insbesondere die Ereignisse während des I. Weltkrieges, d. h. die allgemeine Verfolgung der Deutschen, haben das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen geweckt. Im Ersten Weltkrieg und danach entstanden die Anfänge nationaler Selbstorganisation. Dies war eine Reaktion auf die Russifizierungsmaßnahmen.

Losgelöst vom übrigen Schwarzmeerdeutschtum mußten die Bessarabiendeutschen nach der Angliederung an Rumänien sich an ein eigenständiges Dasein gewöhnen, und es bedurfte wohl der umwälzenden Ergebnisse des Ersten Weltkrieges, um bei ihnen einen Wandel in ihrem Verhältnis zur Politik herbeizuführen.

Aus den Anfängen nationaler Selbstorganisation nach der Februar-Revolution 1917 ging der Deutsche Volksrat für Bessarabien hervor. Es kam zur Bildung von bessarabiendeutschen Verbänden, Vereinen, zur Mitwirkung in der Politik, zur Entwicklung eines eigenen Pressewesens. Die Bessarabiendeutschen orientierten sich jetzt im wesentlichen an anderen deutschen Gebieten in Rumänien, wie Siebenbürgen, und arbeiteten mit diesen politisch zusammen.

Traditionell hatte der Krasnaer Bauer mit Politik nicht viel zu tun. Er zahlte seine Steuern, leistete seinen Militärdienst und seine Naturalleistungen (Frondienste), im übrigen kümmerte er sich nicht viel um politische Dinge. Dies änderte sich als der Unmut in der deutschen Bevölkerung über die Rumänisierungspolitik festsetzte und man mit der gemäßigten kirchlichkonservativen Führungsschicht der eigenen Volksgruppe nicht mehr zufrieden war. Auch die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre blieben nicht ohne Folgen für das Verhalten der Deutschen. Von da an fanden nationalistisch auftretende Gruppierungen auch Zugang zu den Krasnaer Bauern. Doch verstanden die meisten Bessarabiendeutschen wohl unter Nationalsozialismus eher eine verschärfte Form der Fortsetzung oder Erneuerung des Kampfes um die Erhaltung ihrer Identität und Eigenständigkeit als Volksgruppe in fremder Umgebung.
Man kann auch feststellen, daß in Krasna insgesamt das traditionelle „unpolitische“ Politikverständnis weiter bestand und das Alltagsleben durch die überkommenen Strukturen (Kirche, Oberschulz etc.) relativ autonom und fern von großen Politiklinien ablief

1)
Albert Kern, Heimatbuch der Bessarabiendeutschen, Hannover 1976, S. 439
2)
Solo, Eine Rundreise durch unsere alte Heimat Bessarabien, in: Bessarabischer Heimatkalender 1953, S. 102
3)
Richard Heer; die alte und die neue Heimat der Bessarabien-Deutschen, S. 629
4)
Der Eintagekrieg der Rekruten (Autor E.V.S.) Heimatkalender der Bessarabiendeutschen 1985, S. 143
5)
Kampe, Walther , Achtzig Jahre – und noch immer da! Erinnerungen zum 31. Mai 1989, als Manuskript gedruckt, Mai 1989, S. 26
krasna/j-07-01-00.txt · Zuletzt geändert: 2019/05/23 13:56 von Otto Riehl Herausgeber